Das Innere der Landschaft, das Innere des Menschen, das Wesentliche unserer Existenz – ist es nicht das, was der Mensch immer wieder versucht hat, zu erfassen, zu kontrollieren, zu messen? Aus den verschiedensten Stoßrichtungten heraus betrachtet: der Religion, der Wissenschaft und der Kunst. Und immer wieder ist er daran gescheitert.
Die Landschaft ist doch das, was immer weiter weg ist. Dahinten, wo wir die Hügel sehen, die Baumgruppen und die Wiesen. Da ist das, was wir als Landschaft wahrnehmen. Landschaft ist in dem Sinne nicht fassbar. Und Sie erahnen schon: Die Landschaft ist etwas, was sich ausserhalb unseres Forschungsbereiches befindet. Ganz im Gegensatz zum Ort. Am Ort da können wir die Dinge – so scheint es – erfasssen. Wir können einen Apfel nehmen, hineinbeißen, ihn essen, wir können unseren Fuß in den Bach stellen und ihn kühlen, wir können einen Baum hinaufklettern. Oder ein Gänseblümchen pflücken und seinen Duft genießen. Stellen wir uns die Landschaft eher vor als ein Einheitsbild. Als ein Gesamtbild komponiert aus allen möglichen Fragmenten und Objekten und Orten. Das ist die Lehre des Tarnanzuges der Soldaten. Sie stellen nichts anderes dar als das Gesamtbild: die Landschaft. Das Gesamtbild aller möglichen Fragmente und Objekte.
Würden wir uns nun entscheiden, uns diesem Gesamtbild zu nähern, dann würden wir erfahren, wie schnell – wenn wir diesem Gesamtbild zu nahe kommen – dieses Image auseinanderfällt. In all seine Fragmente und Objekte. Und schlussendlich wären wir dann doch wieder an einem Ort gelandet. Und hier hätten wir es dann wieder mit einem Wegerich zu tun, einem verirrten Mistkäfer, einem Haus, einem Baum oder einer Wolke. Die Landschaft hätte sich verflüchtigt. Was will sie auch mit uns? Wir kommen also nie in die Landschaft hinein.
Und im übertragenen Sinne gibt es immer wieder Bereiche, die uns das nahe legen, dass sie dazu fähig sind, uns in die Landschaft zu führen. Heute ist es z. B. die Wissenschaft, die sagt, wir haben das richtige Instrumentarium, um euch in die Landschaft zu führen. Aber sie führen uns immer wieder nur zu einem Ort. Der Begriff Landschaft ist ein genialer Trick. Mit ihm vermögen wir es, all die Millionen von Eindrücken, die in jeder Sekunde auf uns einströmen, in gewisser Weise als Bild zu fassen, um sie zu bearbeiten und beurteilen zu können. Folglich ist das Nachdenken über Landschaft immer ein Nachdenken über uns selbst, unsere Wahrnehmung und unsere kulturellen Voraussetzungen.
Lucius Burckhardt hätte gesagt: Landschaft ist immer eine Aussage. Wobei die Aussage nicht im Außenbereich liegt, sondern in unseren Köpfen.
(Textauszug aus dem Redebeitrag)