Merck-Preis
Preisträger, Juryentscheidung und Nominierungen 2014

Foto Christine Erhard

Die Gewinnerin des Merck-Preises der Darmstädter Tage der Fotografie 2014 ist Christine Erhard mit der Arbeit ›Moskau Intervention‹

Begründung der Jury: Christine Erhard – Moskau Intervention

Die Herangehensweise Christine Erhards ist die einer Bildhauerin. Sie konstruiert Bildräume, in denen sich Blickachsen und Realitätsebenen kreuzen, überlagern und auf diese Weise schließlich unterschiedliche Perspektiven im Bild erzeugen. Mit dieser Serie – aus Architekturfotografien und mit Referenzen an den Konstruktivismus – gelingt es der Fotografin, Bildwerke zu kreieren, die einen installativen Charakter tragen und avantgardistische Ästhetiken reflektieren. Christine Erhards Präsentation beeindruckt insbesondere dadurch, wie sie formalästhetisch unterschiedliche künstlerischere Gattungen in die zeitgenössische Fotografie transferiert.

Die Jury bestehend aus Ute Noll, Prof. Dr. Kris Scholz und den Initiatoren der Darmstädter Tage der Fotografie e.V. Albrecht Haag, Alexandra Lechner, Gregor Schuster und Rüdiger Dunker gab die Entscheidung während der Preisverleihung am 25. April 2014 bekannt.

Nominiert für den Merck-Preis der Darmstädter Tage der Fotografie 2014 waren:

  • Christine Erhard , (D) – Moskau Intervention
  • Nina Kopp, Amsterdam (NL) – Treasure of the bee
  • Alexandra Polina, Bielefeld (D) – MADE IN USSR

Christine Erhard, 44, Düsseldorf (D) – Moskau Intervention

Die Künstlerin nimmt historisches Bildmaterial aus Kunst und Architektur zum Ausgangspunkt für ihre Bildideen. In der Serie Moskau Intervention greift sie auf Architekturfotografien und Malereien aus der Epoche des russischen Konstruktivismus zurück und bearbeitet diese fotografisch weiter. Dieser Prozess, der bildhauerischem Arbeiten gleicht und verschiedene Materialien einbezieht, ermöglicht Christine Erhard, neue Bildräume zu erschaffen, die mehrere Blickachsen und Realitätsebenen in sich vereinen. Häufig werden ihre Arbeiten mittels anamorphotischer Modelle konzipiert, d.h. die Raummodelle sind auf einen bestimmten Kamerastandpunkt hin konzipiert. Mit ihrer Arbeitsweise in Moskau Intervention reflektiert Ehrhard eine bekannte Ästhetik der modernen Kunst mit den Mitteln der Fotografie und es gelingt ihr ein formalästhetischer Transfer in die Gegenwart.

Nina Kopp, 39, Amsterdam (NL) – Treasure of the bee

Auf Nina Kopps Fotografien ist der Bezug zu niederländischen Stillleben der Malerei des 16.-17. Jahrhunderts evident. Mit dem Projekt möchte die Fotografin darauf aufmerksam machen, was die Menschen den Bienen zu verdanken haben. Ihre fotografischen Neuinterpretationen der alten Stillleben verzichten ganz bewusst auf die Ausgewogenheit in Farbe und Komposition, die die niederländischen Gemälde auszeichnete, um ein aus der Balance geratenes Ökosystem zu symbolisieren. Die minutiös arrangierten fotografischen Stillleben präsentieren nur noch einen Überrest des üppigen Frucht- und Blumenangebotes von einst. Darüber vermittelt Nina Kopp ihre Botschaft: Würde der Schatz der Biene fehlen, wäre unser Nahrungsmittelangebot geringer, weniger farbenfroh und weniger geschmackvoll.

Alexandra Polina, 29, Bielefeld (D) – MADE IN USSR

»Wie viel Heimat steckt in uns? Wie viel Identität nahmen wir mit aus einem Land, dessen Ikonen der persönlichen Suche nach Individualität stets mahnend gegenüber standen?« Diese Fragen stellte sich die junge Fotografin Alexandra Polina, die in Usbekistan geboren und aufgewachsen ist mit ihrem Projekt Made in USSR. Sie verbindet mit dieser Arbeit die Ikonografie sowjetischer Propagandaplakate mit dem, was ihre eigene Generation als gemeinsame Erinnerung teilt. Als Kinder haben sie und Gleichaltrige die letzten Jahre des Kommunismus miterlebt, heute leben sie über die ganze Welt verstreut und sie haben sich längst an andere Systeme adaptiert. Die ästhetischen Referenzen an die sowjetischen Propagandabilder sind überdeutlich: die Posen der Arbeiter, Bauern und Intellektuellen entsprechen denen der alten Plakate, der Himmel ist stets blau, der Blick in die Zukunft gerichtet und selbstverständlich ist jedes Detail der Szenerie im Sinne der idealistischen Bildaussage komponiert worden. Doch im Unterschied zu den Bildern der 1950er und 1960er Jahre transportieren die analog fotografierten Porträts der heute Dreißigjährigen eine bizarre Mischung aus Befremdung und Heimat. Das Kulissenhafte der Bilder tritt hier umso deutlicher hervor und verweist auf die abgeworfenen Hüllen des alten Systems.