Symposium 2008
Querdenker – Vom Kopf an die Wand

Michel Mallard

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Michel Mallard

Misbehavin'

Es ist nicht einfach, mich selbst vorzustellen, da ich mich selbst nicht einzuordnen weiß. Die Leute mögen es, wenn sie andere in Schubladen stecken können: Du bist Künstler, du bist Fotograf, du bist Ku-rator. Ein Kurator aber kann kein Photograph sein. Ein Kurator kann kein Künstler sein. Ein Künstler kann kein Designer sein. Das sind die Regeln, die ich nicht verstehen kann. Wenn wir zurück in die Renaissance blicken, Leonardo da Vinci war ein Generalist, er hat alles gemacht. In den 1950er Jahren hat der Maler Jackson Pollock auch Hintergründe für Foto-Shootings der Vogue angefertigt. Man Ray hat ebenfalls nicht unterschieden zwischen werblich kommerziellen und künstlerischen Bildern. Aber heute, speziell in Frankreich, ist es sehr angenehm, wenn man Menschen bestimmten Schubladen zuordnen kann. Aber ich selbst passe da irgendwie nicht hinein.

Ich wurde in Mexiko geboren und mit Ende dreißig fühle ich mich nicht als Mexikaner, aber auch nicht als Franzose. Ich arbeite an der Schnittstelle zwischen Kunst, Mode und Medien. Für die Kunstszene bin ich zu ›modisch‹ oder zu medienorientiert, für die Medien- oder Modeszene aber zu künstlerisch. So gehöre ich also nirgendwo richtig dazu und war nie einzuordnen – das ist meine Lebensgeschichte.

Ich wuchs in Mexiko in einer linksliberalen Familie auf. Für meine Eltern war Kultur immer sehr wichtig, nur kein Fernsehen. So ergab es sich, dass wir auf Reisen oft Museen besuchten, unter anderem in New York oder Europa. Wenn man in einem Land wie Mexiko aufwächst, hat man das frustrierende Gefühl, alles zu verpassen. Denn man ist so weit weg von der Welt, alles passiert irgendwie in Europa oder New York. Deshalb bin ich nach der Highschool sofort aus Mexiko weggegangen, um Kunst zu studieren. Ich schaute mir 35 Kunsthochschulen in der ganzen Welt an, unter anderem in Los Angeles, in New York, in Finnland, in Basel, im italienischen Rubino, um dann schlussendlich in Paris zu landen. Paris ist eine sehr konservative Stadt, aber mitten in Europa, so dass ich ohne Probleme und großen Aufwand jederzeit mit dem Zug über Nacht nach Barcelona oder Venedig reisen konnte.

Im Studium belegte ich alle diese Grafik-Design-Kurse, wie Kunst, Fotografie, Typografie oder auch Magazin-Design. Ich kaufte mir damals den kleinen SE/30 Macintosh Computer, das war das Einzige, was mich am Leben hielt, denn in Paris war die Designausbildung sehr akademisch. Wir mussten Akt zeichnen, Gouachen malen. Dabei mussten wir alles so exakt wie möglich kopieren. Ich fühlte mich fast wie im Mittelalter. Stattdessen konnte ich mit dem Computer mit Typografie experimentieren. Bevor es Computer gab, hat man für Layouts Blindtext ausgeschnitten und aufgeklebt. Aber mit dem Computer konnte man nun echten Text und echte Bilder verarbeiten. Das hat mich damals fasziniert und auch angespornt.

Ein paar Leute von Hachette Filipacchi Press, dem großen Verlagshaus u.a von Elle, Paris Match, Pariscope, kamen an die Schule und sahen sich meine Arbeiten an, worauf sie mir eine Stelle als Creative Director eines Magazins anboten. Ich brach das Studium ab und machte etwas, was ich vorher noch nie gemacht habe. Ich war einer der Jüngsten dort, alle anderen waren mindestens doppelt so alt, und sollte verantwortlich für ein Magazin sein. Damals musste ich viel improvisieren.

Mittlerweile sehe ich die Dinge etwas anders. Ich trage eine Brille wegen der vielen Computerarbeit und bin es deshalb ein wenig leid, mit dem PC zu arbeiten. Es ist auch so, bei einem Magazin startet man als kleiner Grafiker, dann wird man Art Director, dann Senior Art Director, irgendwann ist man Creative Director. Wenn man dann Creative Director ist, wird man zum ›Standardisten‹ und nimmt nur noch Telefonate entgegen. Aus dem Grund habe ich die Vogue verlassen, da ich nur noch gemanaged habe: Telefonate aus der ganzen Welt entgegennehmen, Probleme lösen. So wurde ich auch der Computerarbeit überdrüssig   Ein Grund für die heutige Form der Präsentation als Live-Video. (Anmerkung der Redaktion: Michel Mallard filmte die mitgebrachten Arbeitsbeispiele aus unterschiedlichen Magazinen und Büchern mit der Videokamera live ab, die auf die Leinwand übertragen wurden.

Das erste Magazin, das ich dann entwickelt habe, hieß L’Autre Journal, ein intellektuell anspruchsvolles Magazin mit Berichten über Kunst und Politik. Danach, vor etwa zehn Jahren, gestaltete ich das Magazin Jalouse. Es war sehr interessant, bei diesen Magazinen mitzuarbeiten, da man als Art Director oder Grafiker oft als Einzelkämpfer allein in einem Büro arbeitet, aber in der Redaktion waren ständig Leute um mich herum, viele Ideen stürmten auf mich ein. Es war Teamwork, Impulse kamen von allen Seiten, und das machte Spaß. Viele fragen mich noch heute, warum ich nicht allein arbeite. Der Punkt ist, dass ich mit all den Leuten im Team oder meinem Studio viel mehr erreichen kann, als wenn ich allein arbeite.

Ich erhielt eine Einladung zu einem etablierten Modefestival in Südfrankreich, um ein Fotofestival darum herum zu etablieren. So begann es mit Hyères und dem Festival International de Mode et de Photographie, das von Firmen wie LVMH gegründet wurde. (Anmerkung der Redaktion: LVMH Moët Hennessy, Louis Vuitton S.A.)

Die Idee dahinter ist folgende: Normalerweise, wenn ein Fotograf mit seinem Portfolio nach Paris kommt, bekommt er nicht einfach so Termine bei den wichtigen Personen am Centre Georges Pompidou oder der französischen Vogue. In Hyères suchen wir zehnFotografen aus. Wir verschicken Postkarten und Anmeldeformulare in die ganze Welt und hatten dieses Jahr 420 Einsendungen.

Daraus wählen wir, mein Studio und ich, zehn aus, die dort führende Persönlichkeiten aus Galerien, Museen, Art Directoren von Magazinen oder Werbeagenturen treffen und über ihre Bilder sprechen können. Wir sprechen alle über Bilder, und das wunderbare dabei ist, dass nicht alle aus der Kunstszene sind. Denn wenn dem so wäre, wäre es sicherlich etwas langweiliger, da alle in die ähnliche Richtung denken würden.

Wie suchen wir die Leute aus? Sie müssen gute Ideen haben und noch ganz am Beginn ihrer Arbeit stehen, dennoch schon eine Art eigene Bildsprache entwickeln.

Es geht nicht um Portfolio-Sichtungen von 20 Minuten so wie anderswo, sondern es ist eher wie eine Vier-Tage-Show, bei der man sich trifft, Kontakte knüpft und aus der man mit interessanten neuen Projekten herausgeht. Zu Beginn wurde natürlich kritisiert, dass das keine Art der Fotografie sei, aber es ist mir gleich, es geht um Bilder. Und so sollte man das Festival begreifen.

Misbehavin’ – daneben benehmen. Die ganze Zeit über war ich alles gleichzeitig und habe immer gegen Leute angekämpft, die mir etwas vorschreiben wollten. Die Arbeit als Creative Director ist in etwa ähnlich der eines plastischen Chirurgen, denn sie verlangen von dir: Richte meine Ohren, richte meine Nase, mach mich schöner als ich bin. Aber wenn du eine langweilige Person bist, bist du langweilig. Du kannst gute Arbeit machen, aber wenn du langweilig bist, bist du langweilig. Und dann ist es schon ein wenig verrückt, dass diese Leute dich fragen, ob du ihr Magazin einem Redesign unterziehen kannst. Sobald du es dann getan hast, sind sie doch etwas ängstlich und wollen es am liebsten wieder stoppen. Aber ich denke, dass es so ablaufen kann wie zum Beispiel bei Colours of Benetton: Das Konzept geht auf, und ab einem gewissen Punkt funktioniert es und verkauft sich auch. Dann ist es für die Kunden jedenfalls ein perfektes Rezept. Aber sie verstehen nicht, dass eben alles ständig im Wandel ist.

Der interessanteste Aspekt der Mode ist, dass sie sich selbst ständig neu erfindet, viel schneller als die Kunst das tut. Ich denke, dass die Kunstszene letztlich sehr konservativ ist. Sie bleibt an engen Regeln haften, man vergleicht sich gegenseitig, die einzelnen Lebensläufe sind sehr ähnlich und teilweise sehr überheblich. Die Modeszene ist dem relativ ähnlich, aber dennoch etwas offener. Wenn man intelligent ist, kann man dort sehr produktiv sein.

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