Symposium 2010
Jetzt – Die erzählte Zeit

Chris Boot

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Chris Boot

Georgian Spring: Kunstprojekt oder Propaganda?

Georgian Spring ist ein vom Kultusministerium Georgiens in Auftrag gegebenes Projekt, das von Magnum Photos an mich herangetragen wurde. Ausgangspunkt für das Vorhaben war der Auftrag des Fotografen Thomas Dworzak, den Präsidenten Georgiens, Micheil Saakaschwili zu fotografieren. Zum Abschluss der Arbeit präsentierte Dworzak dem Staatsmann ein Buch mit seinen Fotografien, das auf große Begeisterung stieß und einige Fotografen von Magnum zu der Idee inspirierte, eine Ausstellung und ein Buch mit Fotografien über Georgien zu gestalten. Für mich stand die Kollaboration zwischen Magnum und Georgien ganz im Zeichen der Autonomie und Freiheit. Denn so wie sich Magnum Photos als unabhängige Fotoagentur begreift, versteht sich auch das neue Georgien als einen freiheitsliebenden Ort.

In meinem heutigen Vortrag werde ich zum einen darüber berichten, wie sich das Projekt allgemein gestaltete und zum anderen, das Spannungsfeld der Fotografie vom Kunstobjekt bis hin zum Werbeträger beleuchten, welches sich zwischen den künstlerischen Interessen der Fotografen und einer, um werbewirksame Imagepflege ihres Landes bemühten, Regierung ergab. Magnums Ziele konnten in ihren künstlerischen, journalistischen und finanziellen Belangen ziemlich klar umrissen werden, wohingegen die Regierung eher allgemeine Gesichtspunkte ins Auge fasste, die aus der jüngeren Landesgeschichte resultierten. Georgien empfindet sich als ein isoliertes und von Europa weitgehend ignoriertes Land. Nach der 1991 gewonnenen Unabhängigkeit von der Sowjetunion versank Georgien für 15 Jahre in eine schwierige Phase, geprägt von Bürgerkrieg und Chaos. Doch auch heute, nachdem das Land diesen Abschnitt gemeistert und sich weiterentwickelt hat, fühlt es sich von den EU-Staaten übergangen, insbesondere weil Deutschland und Spanien stets Partei für Georgiens Kontrahenten Russland ergreifen. Von Beginn an lag unsere Absicht deshalb darin, mit einer Ausstellung unseres Projekts in Berlin und Madrid auf die zwei Länder einzuwirken.

Basierend auf dem Hintergrund, jedem Fotografen seine Unabhängigkeit zu gewähren und gleichzeitig verschiedenste Aspekte Georgiens fotografisch aufzugreifen, entschlossen wir uns, jeden der zehn Fotografen mit einem thematischen Schwerpunkt auf eine zweiwöchige Reise in das Land zu schicken. Das jeweilige Thema gab den Rahmen vor, den jeder Fotograf mit Aufnahmen und Texten seiner eigenen Sichtweise füllen und interpretieren konnte. Die besondere Kürze der Zeit, die ich als erste Reaktion problematisch empfand, bot den großen Vorteil, dass wir nicht genug Zeit haben würden, uns allzu ausführlich in Dispute zu verstricken. Entscheidungen mussten schnell gefällt werden, denn es galt Georgien im Jetzt darzustellen – im Frühling 2009.

Der italienische Fotograf Paolo Pellegrin begab sich mit dem Thema Spiritualität und Glaube im Gepäck auf die Reise nach Georgien, das man als ein sehr gläubiges und religiös tolerantes Land erfährt. Pellegrins Besuch der Gotteshäuser aller Glaubensrichtungen rief unterschiedliche Reaktionen hervor: In den christlichen Kirchen konnte er sich ohne weitere Absprachen frei bewegen. Für den Besuch in den Moscheen holte er sich im Vorfeld eine offizielle Genehmigung ein und traf auf keinerlei Widerstände. Einzig in der Synagoge fühlte er sich beargwöhnt und erhielt die Vorgabe, nur von einem Standpunkt aus fotografieren zu dürfen. In der Ausstellung untermalten wir mit religiöser, georgischer Musik die in Fotografien gefasste Vielschichtigkeit an gelebter Spiritualität.

Aus Angst davor, in ein möglicherweise offenes Messer der Zensur zu laufen, lehnte der Norweger Jonas Bendiksen das ursprünglich an ihn gestellte Thema der Hinterlassenschaft des Krieges ab und wandte sich stattdessen den Ansichten und Erfahrungen einer Jugend zu, die mit der Sowjetzeit nur wenige Kindheitserinnerungen verbindet. Er arbeitete mit jungen Leuten Mitte zwanzig – einer ganz im Zeichen der neuen Ära aufgewachsenen Generation – und versah seine Fotografien mit Zitaten über Erwartungen an Georgiens Zukunft.

Der gebürtige Russe Gueorgui Pinkhassov dokumentierte und bereiste für unser Projekt die georgische Schwarzmeerküste und gelangte nach Abchasien. Obwohl Abchasien nur völkerrechtlich als Teil Georgiens gilt, und de facto ein unabhängiger Staat ist, wird dieses Land auf den handelsüblichen georgischen Landkarten – die auch wir für unser Projekt benutzten – den georgischen Landesgebieten zugerechnet. Erschwert wurde Pinkhassovs Reisevorhaben durch die politisch motiviert geschlossenen Grenzen zwischen Georgien und Russland, die ihn zu teils großräumigen Umwegen zwangen. Ich hätte mir von seinen Arbeiten einen mehr beschreibenden Charakter gewünscht und nicht eine Abfolge von schönen Bildern, die genaugenommen überall hätten entstehen können.

Um die Gräueltaten des Bürgerkrieges aufzudecken, besuchte der italienische Fotograf Alex Majoli die Kriegsschauplätze in Südossetien. Auch er hatte wie Pinkhassov mit den Widrigkeiten eingeschränkter Zugängigkeiten von Grenzstädten zu kämpfen. In Flüchtlingsporträts und dokumentierten Folgen der Gewalt, visualisiert Majoli eindrucksvoll die Sinnlosigkeit des Krieges, die sich in Wunden der Zerstörung ergießt. Seine Arbeiten sprechen für sich und gaben keinerlei Anstöße für Widerstände oder Diskussionen, anders als bei den Arbeiten der fünf folgenden Fotografen, die ich nun vorstellen werde.

Antoine D'Agatas Arbeiten kreisen üblicherweise um die Darstellung seines Liebeslebens. Auch die Reise nach Georgien sollte davon nicht unberührt bleiben. Er begab sich auf die Haupttransitstrecke durch Georgien von Ost nach West, dokumentierte seine sexuellen Erfahrungen und versah seine Fotografien mit Bemerkungen seiner Gespielinnen. Im Namen der Georgier bat mich Thomas Dworzak von der Verwendung folgenden Zitates abzusehen: »I wished I used a condom. Why didn't you use a condom?« Es stand für mich außer Frage, diesen Satz nicht aus dem Projekt zu entfernen, denn er wäre der symbolische Beweis dafür, dass sich das Projekt jeder inhaltlichen Einmischung entzog, und die Vereinbarung, dass ich letztendlich das letzte Wort über den Inhalt habe, eingehalten wurde. Mir war immer klar, dass man hier und da möglicherweise Kompromisse eingehen muss, aber in diesem Fall sah ich dafür keine Bewandtnis.

Freizeitaktivitäten anderer Art widmete sich Martin Parr. Er beleuchtete unter dem Leitthema Freizeit und Konsum die Tempel und Errungenschaften der Konsumgesellschaft, die auch in Georgien Einzug gehalten haben. Seine Fotografien von Fitnessstudios, Restaurants und Frauen in Pelzmänteln riefen keinerlei Irritationen hervor, aber über ein spezielles Foto entfachte sich eine große Diskussion. Das Bild zeigt einen alten Mann, der auf der Ladefläche seines kaputten Ladas Kartoffeln verkauft. Für Parr entsprach das Bild lediglich einem ironischen Kommentar zu einem im Übergang befindlichen Land, doch die Georgier sahen darin genau jenes Bild ihres Landes repräsentiert, das sie weit hinter sich lassen wollen. Letztendlich brachte das Zugeständnis, dieses Bild nur in der Ausstellung nicht aber in das Buch einzubringen, für alle Seiten Vorteile, denn das Bild wurde als Pressephoto ein Aufhänger für die Ausstellung, anhand dessen wir dem Publikum und der Presse das Ringen der Georgier um Akzeptanz ihrer neuen georgischen Identität näher bringen konnten. So gelang es uns, sowohl dem Wunsch des Fotografen als auch dem georgischen Anliegen zu entsprechen.

Thomas Dworzaks Arbeit stand zwar im Einklang mit den Georgiern, doch hatte Magnum Photos Einwände vorzubringen. Dworzaks Projekt bestand darin, den Präsidenten über einige Monate hinweg zu begleiten und zu dokumentieren. Um der oberflächlichen Anmutung der Bilder entgegenzuwirken, bat Thomas den Präsidenten ergänzend darum, zehn Dinge zu beschreiben, auf die er im zeitgenössischen Georgien besonders stolz sei. Saakaschwili erwähnte zum Beispiel den erfolgreichen Kampf gegen eine korrupte Polizei, die er wieder in eine vertrauensvolle Truppe verwandelt habe. Für mich war die propagandistische Ausnutzung dieser Plattform deutlich erkennbar und offen bloß gelegt, Magum hingegen glaubte, dass Thomas sich vom Präsidenten habe vereinnahmen lassen.

Die Aufgabe, sich der georgischen Vielfalt zu widmen, erweiterte Alec Soth um den Aspekt des Gerüchtes, dass georgische Frauen besonders attraktiv seien. Er verwandelte seine Reise in eine Suche nach der schönsten Frau Georgiens und fotografierte in einem tschetschenischen Dorf die Rückansicht einer passenden Kandidatin. Als er weitere Nachforschung über die Frau anstellte, um sie auch porträtieren zu können, verwies man ihn des Dorfes und bezichtigte ihn spöttisch der CIA anzugehören. Mit der fotografierten Rückansicht in der Hand, hat er sie nie wieder gesehen. Und so verharrte der Mythos auch für uns in einem Phantom georgischer Schönheit. Die offenkundige Ironie – die ich sehr gelungen fand – wurde von den Georgiern nicht nachempfunden und geteilt, sie sahen sich als sexistisch diffamiert. Obwohl sie es nicht mochten, ließen sie uns doch mit dem Bild gewähren.

Als wir am Ende dem Präsidenten den Entwurf des erarbeiteten Buches vorlegten, monierte er, dass es weder die Schönheit noch die Errungenschaften eines Georgiens des 21. Jahrhunderts widerspiegeln würde. Sie verlangten keine Veränderungen an den entstandenen Fotoarbeiten, aber sie wünschten ein paar zusätzliche Bilder, die das Buch um die vermissten Aspekte ergänzten. Aus meinen Bedenken, dem Buch einen Abschnitt kitschiger Fotos über die Schönheit Georgiens hinzuzufügen, ergab sich die Überlegung, die zusätzlichen Bilder einfach als Postkarten zu gestalten und an den Anfang und das Ende des Buches zu setzen. Neben dem Bild von Martin Parr, war das der einzige Kompromiss, den wir haben eingehen müssen.

Resümierend betrachte ich Georgian Spring als ein Projekt über Freiheit, das den Geist der georgischen Thematik bestens mit den ideellen Werten Magnums verbindet.

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