Ein Beispiel für motivische Übernahmen und Veränderungen, die die Fotografen mit malerischen Elementen veranstalten, ist das Bild von Jock Sturges aus der Serie The Last Day of Summer. Die erste große Assoziation, an die man denkt, ist natürlich Caspar David Friedrich, der Mönch am Meer. Man sieht diese direkte Parallele – fast auch von der Positionierung dieser Figur, dann diesen gigantischen hoch aufragenden Himmel und diese Reduktion der Wolkenkulisse. Bei Caspar David Friedrich ist es natürlich ein Nachdenken über den Betrachter im Bild. Sie haben bei Caspar David Friedrich diese ganz bekannten Rückenfiguren, in die Sie sozusagen Ihren eigenen Blick hineindeuten, das heißt, zwischen Ihnen und der Natur steht die Blende der Figur. Sie haben eine Figur, die Sie sozusagen von der Landschaft abschirmt. Das war revolutionär, das wurde bemerkt, das wurde kritisiert. Die Kunstkritik überschüttete Caspar David Friedrich mit zweifelnden Fragen und Ablehnung. Wenn man ein solches Motiv denn heute sieht, in einem Foto, das von 1990 stammt, erkennt man hier, welche große Bedeutungsänderung das Motiv erhält. Man ist an die Motive gewöhnt, man kennt natürlich diese Chiffren von Unendlichkeit und Figur, und gerade deren Sprengkraft, deren revolutionäre Sichtweise, ist längst gebrochen. Deshalb erscheint so eine Fotografie von heute auch eher affirmativ, und dem romantischen Vorbild gegenüber vereinfacht.
Michael Schnabel greift mit diesen sehr abgedunkelten Bergmassiven und ihren Kraft- und Strömungslinien zurück auf ein Vorbild: Natürlich auf Caspar David Friedrich, der Watzmann. Man sieht es vielleicht bei diesen Linien, die sich nach unten strecken, und damit die Mechanik des Bergs erkennen lassen, einen Einblick in die Weltgesetzlichkeit zulassen. Man sieht auch hier, dass in dem Fall der Künstler die fotografische Technik einsetzt. Er erinnert selber an Momente der fotografischen Entwicklung, indem er bei manchen Fotografien das ganze Banner als negativ erscheinen lässt. Also hat gegenüber diesem Vorbild beispielsweise aus der Malerei auch hier das Medium der Fotografie angesetzt, um auf sich selbst aufmerksam zu machen oder dessen technische Bedingung zu beschreiben.
Ich will diese kleine Kette der Motivvergleiche abschließen mit einem Foto von Wim Wenders, das er gemacht hat in einer Bar in Arizona, auch aus den 80er Jahren. Und man sieht hier diese etwas eigentümlich leere Barsituation, mit Coca-Cola-Automaten und einem roten Sofa, und hinten ein äußerst kitschig erscheinendes Gemälde oder einen Druck an der Wand. Da zeigt vielleicht auch der Filmemacher, der in seinen Road-Movies am meisten auf die Landschaft gesetzt hat, wie wenig gerade das Motiv der Landschaft in der zeitgenössischen Fotografie zu fassen ist. Oder wie sehr es sich dann auch entzieht, als dass es nur noch im Klischee mit dem klischeetisierten Blick auf die Naturschönheit dazu passend ist.
(Textauszug aus dem Redebeitrag)