Mich interessierte immer besonders die Form. Die Form ist eines der wichtigsten Dinge in der Kunst oder im Design. Wenn Sie zum Beispiel ein Gemälde sehen, eine Fotografie oder ein Logo, das erste, was Sie erkennen, ist die Form.
Mein Vater verbrachte seine Tage auf der Bettkante sitzend, schaute sein Spiegelbild an und trank. Wenn er zuviel getrunken hatte, schlief er. Und wachte dann auf und wiederholte die Prozedur. Er aß nie, er trank nur. Bei diesem Bild können Sie sehen, dass ich nicht daran dachte ein gutes Foto zu machen, es sollte mir nur die Vorlage für ein Gemälde liefern. Ich war immer schon sehr interessiert an der Arbeit von Francis Bacon. Deswegen versuchte ich ein Triptychon von meinem Vater zu machen. Es ist ein bißchen wie ein Bacon-Triptychon geworden. Ich glaube, wenn irgendein anderer Fotograf das Bild gemacht hätte, hätte er den Kopf scharf gestellt, ich dagegen habe den Fokus auf die Hände gelegt, um es anders zu machen.
Ich habe nie ein wirkliches Selbstportrait versucht, aber ich mag die verschiedenen Ebenen in dieser Fotografie. Wie mein Vater mir zusieht, wie ich das Bild mache. Und so schaut er auch zum Betrachter. Sie sehen seinen Hinterkopf im Spiegel, Sie sehen das Fenster hinter dem Spiegel, wo er gelegentlich hinaus schaut. Sie sehen mich, wie ich das Bild mache. Ich denke, das ist die erste vernüftige Fotografie, die ich gemacht habe. Als ich damals 1990 diese Fotografien machte, da war ich 19 – 20 Jahre alt, hatte ich mir keine Arbeiten von besseren Fotografen angesehen, weil ich Fotografie nicht für Kunst hielt. Ich wollte immer Maler werden. Ich war akademisch arrogant, obwohl ich aus einer armen Familie stamme. 1990 habe ich mich um einen Studienplatz für Malerei an der Universität beworben. Ich wurde an 16 Orten abgelehnt und musste an einen wirklich schlechten Ort gehen, nach Sunderland im Norden Englands. Nicht der Studiengang war schlecht, ich hasste diese Gegend, diesen Ort. Es ist ein sehr armer Ort, viel ärmer als der, an dem ich geboren und aufgewachsen bin. Und ich hatte kein Sujet dort, das ich malen oder fotografieren konnte. Deshalb bin ich alle sechs Monate, wenn ich etwas Geld für den Zug gespart hatte, zurück nach Birmingham gekommen und habe Fotos von meinen Eltern gemacht. Als ich zurück kam, waren meine Eltern wieder zusammen gekommen. Die Wohnung sah völlig anders aus, als zu dem Zeitpunkt als mein Vater allein dort lebte. Meine Mutter hatte um sich ihren eigenen Raum geschaffen, sie umgab sich mit Katzen und Hunden, aber auch Vorhänge und viel Farbe. Wenn Sie sich an die Bilder von meinem Vater erinnern, die hatten etwas von einem Gefängnis. Aber der Raum, den meine Mutter sich schaffte, war sehr opulent. Diese Arbeiten entstanden also in der Zeit von 1991-1994, als ich auf der Universität war und sie ab und zu besuchte.
Ich glaube an diesem Punkt wurden die Fotografien, die ich machte, ausgereifter, obwohl ich immer noch Maler werden wollte. Aber auf eine verrückte Art wurden sie ausgereifter, indem ich mehr Zufälle produzierte. Als ich diese Fotografie sah, die ich während meiner Zeit an der Universität machte, war ich sehr beunruhigt, da ich nicht ernsthaft Fotograf werden wollte. Da war kein Rätsel, kein Geheimnis drin. Es war eine oberflächliche Fotografie, rein dokumentarisch. Obwohl es ein sehr lustiges Bild ist, es ist sehr humorvoll, aber visuell war es für mich nicht interessant. Und ich befürchtete noch mehr in dieser Art zu machen. Es gibt zum Beispiel ein anderes Bild, das für mich interessanter ist in Bezug darauf, was im Kopf meines Vater vor sich geht oder was der Hippie zu meiner Mutter sagt. Sie sehen den Zigarettenrauch vor dem roten Vorhang und Sie wissen, dass diese Struktur vielleicht symbolisch für das steht, was im Kopf meines Vaters vor sich geht.
Diese Arbeiten sind aus den Jahren 1994/95. Ich begann mit Wegwerfkameras zu arbeiten. Es ging um den Gedanken, wie technisch schlecht kann ein Bild sein, um dennoch ein gutes Bild zu machen. Ich interessierte mich für das Verhältnis zwischen der Kraft eines Bildes und seiner Technik bzw. seiner Nicht-Technik. In jedem Foto, das ich machte, versuchte ich sicher zu stellen, dass es immer eine andere visuelle Idee hat. Als ich Teenager war, sah ich im Fernsehen eine Dokumentation über meinen Lieblingsmaler und dem Motiv, das mich immer fasziniert hat. Ich bin mir ziemlich sicher, wenn ich das Gemälde nicht gesehen hätte, hätte ich dieses Bild nicht gemacht. Das Motiv blieb mir im Gedächtnis und ich erkannte das, als ich das Bild machte. Ich begann auch, die Fehler mit der Kamera vorherzusehen. Ich wusste, dass der Blitz ein weiches Licht an der Wand erzeugen würde und dass es im Kontrast zur schwarzen Form der Katze stehen würde. Und ich begann, mir Fotobücher von anderen Leuten anzusehen. Dadurch waren meine Bilder nicht mehr nur von der Malerei beeinflusst, es gab jetzt auch fotografische Einflüsse. Als ich in der Galerie Anthony Reynolds in London ein Bild meiner Mutter hängen hatte, kam ein Fotograf in die Galerie und sagte, dass diese Fotografie besser wäre, wenn die Tätowierungen auf dem Arm meiner Mutter scharf abgebildet wären. Das war ziemlich dumm, weil daraus dann nur ein sensationelles Bild einer Frau mit Tätowierung geworden wäre. Ich aber zog es vor, den Kopf meines Vaters scharf zu stellen, weil es wichtig ist, was in seinem Kopf vor sich geht. Die Tätowierungen auf dem Arm meiner Mutter sind nebensächlich. Mein Vater hat auch Tätowierungen, aber dafür interessiert sich keiner.
Ich glaube, Liz and Jigsaw ist ein gutes Portrait meiner Mutter. Sie sehen zwar nicht, wie ihr Gesicht aussieht, aber Sie können eine Menge erfahren über das, was um sie herum vor sich geht. Sie wählte dieses Kleid für den Tag, sie wählte die ›Sky‹-Zigaretten und sie entschied, dieses Puzzle zu machen. Deshalb glaube ich, hat eher sie dieses Bild gemacht als ich. Zu dieser Zeit fing ich an, bewusster mit der Fotografie umzugehen. Ich glaube, ich wurde auch zu sehr vertraut mit den Familienbildern. Ich denke, dass sie OK sind, aber sie begannen Bilder einer bestimmten Gattung zu werden. Ich habe eine Menge Bilder gesehen, auf denen sobald Leute oder irgendetwas auf den Boden fiel, ein Bild davon gemacht wurde. Eines Tages streckte sich meine Mutter auf dem Sofa aus und ich fotografierte sie. Vor zwei Tagen habe ich in Madrid im Prado dieses Bild von Goya gesehen. Sehen Sie, wie ähnlich sich die Motive sind. Ich habe meine Kompositionen durch das Studieren von anderen Gemälden gelernt. Der einzige Unterschied bei Goya ist, dass die Frau den Betrachter ansieht.
1996 habe ich das Buch Ray's a laugh herausgebracht mit einer Auswahl der Farbfotografien. Es waren aber nur die Farbfotografien und nicht die Schwarzweißaufnahmen, obwohl ich denke, dass diese die besseren sind. Eines der Bilder wurde im Süddeutschen Magazin gedruckt. Sie benutzten das Bild in einer Weise, die mich erschreckte. Sie haben es sogar angeschnitten und Text darüber gelegt. Ich denke, dass dieses Bild schlecht ist, aber das war es, was die Journalisten veröffentlichen wollten, um ihre Stories zu schreiben. Ich stellte schnell fest, dass die Leute das Buch kauften, weil sie es mochten. Und sie generierten einen Kontext für die Arbeit, den ich so nie beabsichtigt hatte.
Deshalb dachte ich darüber nach, weitere Bilder zu machen, die so gar keinen sensationellen Inhalt, aber dennoch sehr viel emotionalen Gehalt für mich haben. Und das wohl langweiligste Thema, das ich mir vorstellen konnte, ist der Ort Cradley Heath, meine kleine Stadt, in der ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Nach drei Jahren in Sunderland begann ich, nach meiner Rückkehr, den Ort meiner Herkunft sehr zu schätzen. Auch wenn ich jetzt das Buch Ray's a laugh gemacht und einige ernsthafte Erfolge damit hatte, wurde ich mir meiner Situation immer bewusster. Wenn ich eine Ausstellung in London oder irgendwo sonst habe und ich dann zurück in meine Heimatstadt komme, fühle ich mich dort sehr wohl. Sie gibt mir die richtige Sicherheit, sie schützt mich emotional. Und dennoch wusste ich, wenn ich mich als Künstler weiter entwickeln will, würde ich aus der Stadt weg gehen müssen.
Alle diese Gefühle und Gedanken sind in dieser Arbeit über Cradley Heath beinhaltet. Sie entstand 1997, ein Jahr nachdem ich die Arbeit über meine Familie abgeschlossen hatte. Es ist ein bisschen das Wissen darum, dass ich weg gehen würde, aber ich wollte noch immer die Sicherheit, die die Stadt mir gab. Ich fühlte den drohenden Verlust. Aber viele Leute wussten nicht, was sie denken sollten als sie diese Fotografien sahen. Sie dachten: »Macht er eine Art Dokumentation darüber, woher seine Familie stammt. Versucht er ein Statement über Städte in England zu geben?« Ich lernte dabei, dass die meisten Leute, die sich Fotografien ansehen, glauben, sie zu verstehen sobald sie den Gegenstand der Bilder erkennen. Aber das ist ähnlich mit den Leuten, die denken, ein Gemälde zu verstehen. Sie sehen sich ein Gemälde einer Blumenvase an und denken, sie haben es verstanden, weil sie sehen, was es ist. Aber sie verstehen nicht, dass es auch ein Kitschbild sein kann. Und ich denke, dass viele Menschen Fotografie nicht verstehen. Ich habe sie nicht verstanden, als ich die Bilder von meiner Familie machte, deshalb sehen sie auch so naiv aus. Ich vermute, das gibt ihnen ihre Kraft.