Die ersten Fotografinnen, die ich vorstelle, haben das Thema Realität, Umfeld und Familie. Als erste möchte ich Imogen Cunnigham vorstellen, Amerikanerin, 1883 in Portland Oregon geboren. Sie ist 1976 gestorben. Sie kam aus ziemlich armen Verhältnissen, ihr Vater hat auf dem Bauernhof gelebt. Sie war ein ambitioniertes, intelligentes Mädchen und ihr Vater hat sogar eine Dunkelkammer in der Scheune für sie gebaut. Sie hat mit 16 ihren Abschluss gemacht und kurz darauf ein Stipendium in Dresden bekommen. Imogen Cunnigham hat im Studio von William S. Curtis gearbeitet und das war gleich nachdem sie aus Dresden zurückgekommen ist. Dieses Selbstportrait ist von 1906, als sie an der Universität Washington war. Es ist wahrscheinlich einer der ersten Aktfrauenbildnisse. Imogen gilt als eine Frau, bei der es sehr schwierig ist, ihren Stil einzuschätzen. Sie ist bekannt für ihre wunderschönen Pflanzendetailaufnahmen. Aber sie hat hauptsächlich von Portraitfotografie gelebt. Viele Fotografen, die später kamen, wie Robert Mapplethorpe, haben Imogen Cunnigham als Vorbild gehabt.
Ganz kurz, will ich natürlich Nan Goldin in dieser Reihe der Realistinnen nicht vergessen. Nan Goldins Biografie, wie bei allen Künstlern, spielte eine sehr wichtige Rolle in ihren Bilder. Sie ist mit 14 von zu Hause ausgezogen. Der Hauptgrund war, dass ihre ältere Schwester mit 18 Jahren Selbstmord begangen hat. Die Eltern haben ihre Schwester in eine Psychiatrie gesteckt, sie haben gedacht, dass sie eine Hure war und mit schlechten Leuten Umgang hatte. Das war eigentlich nicht der Fall. Diese Geschichte hat Nan Goldin immer beschäftigt und sie hat auch ihre Biografie beeinflusst. Die Themen ihrer Fotografien sind Sexualität, Drogen und Gewalt. Damit verbunden auch der Tod. Dabei gewährt die Fotografin einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben. Ihre Bilder sind geprägt von einer schonungslosen Direktheit, die auch vor den intimsten Momenten nicht zurückschreckt. Nan Goldin hielt ihr Leben und das Leben und Sterben, ihrer Freunde mit der Kamera fest. Seit den frühen 80er Jahren, ist Nan Goldin zwischen New York und Berlin gependelt. Eine ihrer engsten Freunde, Piotr Nathan, hat neulich ein Interview mit ihr gemacht. Er fragt: »Nan deine Arbeiten waren immer sehr persönlich. Du fotografierst vor allem Menschen, die dir Nahe stehen. Hat sich im Laufe der Zeit das Leben geändert?« »Nein, Liebe ist immer noch der Ausgangspunkt meiner Arbeit. Ich fotografiere niemals jemanden, den ich nicht liebe. Aber mittlerweile fotografiere ich immer öfter Landschaften, und halte Gefühlszustände durch Abstraktionen fest. Sie spiegeln meine Selbstmordgedanken wider. Die Landschaften können bedrohlich wirken, oder sie sind schön und stürmisch oder auch einsam. Das hängt davon ab, wie ich mich fühle.«
Die nächsten Arbeiten sind von Elinor Carucci, 1971 geboren in Israel, lebt seit 10 Jahren in New York. Sie ist auch eine Person, die ihr eigenes Leben fotografisch dokumentiert und das von ihrer Familie, von ihrem Umfeld. Die Mutter war die erste Person, die sie fotografiert hat. Sie hat mit 15 Jahren angefangen zu fotografieren und die Mutter spielt noch immer eine sehr große Rolle in ihren Bildern. Sie hat, um finanziell zu überleben, als Bauchtänzerin gearbeitet. Und gilt als eine der besten Bauchtänzerinnen in New York. Ihre neueste Serie ist über dieses zweite Leben von ihr.
Die nächsten drei Fotografinnen habe ich, vor zwei Jahren in der Ausstellung Women by Women: 8 Fotografinnen aus der Arabischen Welt vorgestellt. Lara Baladi ist geboren in Beirut. Ihre Arbeit Larabesque ist ein intimer Blick in das Leben der Frau. Eine Selbstdarstellung der Künstlerin, die das Innerste, das nicht Greifbare hinterfragt. Diese Arbeit entstand in Ägypten und Gaza und zeigt vor allem Details von Frauenkörpern. Sie versucht ungewöhnliche Wege der Selbstinszenierung zu entdecken und zu definieren. Sie stellen auch humorvolle verschiedene Trugbilder von Weiblichkeit und Verführung zur Schau. Jananne Al-Ani, irakisch-irischer Herkunft, hat ein wunderbares, wie eine Art Spiegelbild in der Ausstellung gezeigt. Es zeigt die Fotografin und ihre drei Schwestern sowie ihre Mutter. Diese Arbeit befasst sich mit der Konstruktion der Schönheit und die Darstellung des Zirkus in der westlichen Kunst. So auch die Arbeit Mother, daughter and I 2003 von Zineb Sedira, geboren 1963 in Paris als algerische Einwanderertochter. Sedira nimmt die persönliche Beziehung als Ausgangspunkt. Sie beschäftigt sich mit kulturellen und geografischen Distanzen. Zeit und Orte sind durch die Kleider und das Aussehen erkennbar. Eine Studie von drei Generationen. Die Mutter in traditionellen Kleidern, die Künstlerin in süd-arabischer Tunika, und die Tochter in westlichem Look.
Jetzt kommen wir zur Kategorie von den Träumern, Romantikern, Melancholisten. Zuerst Sarah Moon, die vor allem durch ihre Modeaufnahmen bekannt wurde. Sie war selbst in den 60er Jahren Model. In ihren Arbeiten findet sich nicht nur die verschwommene, malerische Schönheit immer wieder als Leitmotiv, sondern auch dieser abgeschnittene Kopf. Egal ob es Modeaufnahmen oder persönliche Arbeiten sind, sie benutzt Modelle, die aussehen, wie sie selbst früher ausgesehen hat.
Die amerikanische Fotografin Francesca Woodman hat leider vor ihrer Entdeckung in den 90er Jahren, sich im Alter von 24 Jahren das Leben genommen. Eine junge Frau, die aus einer Malerfamilie kommt. Man sieht, viele von diesen Aufnahmen sind eigentlich in nur kurzer Zeit entstanden von 1975 bis 1978 in Providence, Rhode Island, wo sie auch Kunst studiert hat. Ein ganz faszinierendes Bild, so wie bei Sarah Moon – mit diesen Beziehungen in die Vergangenheit. Sie ist in diesem Bild, aber als Selbstbildnis, benutzt sie ein Bild (Fotoabzug) von sich selbst. Es ist immer ein theatralischer Aufbau, und auch immer mit Schmerz verbunden. Wie viele von ihren Arbeiten.
Jetzt gehen wir zu der dritten, intensiveren Kategorie: die Idee mit den Rollenspielen. Wir sehen, am Anfang des 20. Jahrhunderts haben viele Fotografen mit ihrer Identität als Thema experimentiert. Das Hauptthema von Claude Cahun ist: was ist wirklich Männlichkeit oder Weiblichkeit? Sie war lesbisch, sie war Jüdin. Wohnte mit einer Frau auf dem Land. Ein sehr kompliziertes und hermetisches Leben. Sie war viel weiter mit der surrealistischen Bewegung als Man Ray. 1997 ist ein umfangreiches Buch über ihre Arbeit erschienen und Peter Weibel, der Historiker und Autor dieses Buches sagt: »Cahun identifiziert sich weder als weiblich noch als männlich. Im Gegensatz zu ihrer späteren Nachfolgerin Cindy Sherman, die ausschließlich die weiblichen Muster repetiert und somit bestätigt, hat Claude Cahun einen unmarkierten merkmallosen Raum, jenseits der Geschlechterdifferenz erobert.«
Cindy Sherman, geboren 1954 in New Jersey. Ihre bekanntesten und frühsten Arbeit aus den späten 70er, Anfang 80er Jahren sind die Untitled Filmstills. Und Sherman betont auch, das sind keine Selbstportraits, das sind Typologien von Rollen. »Ich benutze mich nur als Symbol für die verschiedenen Rollen von Frauen in unserer Gesellschaft.« Die Untitled Filmstills sind Motive, die sie sich selbst ausdenkt, aber sie haben Ähnlichkeiten zu einfachen, sogenannten B-Movies.
Suzy Lake, eine Amerikanerin, lebt seit 1968 in Kanada. Hatte am Anfang auch sehr engen Kontakt mit Cindy Sherman. Lake thematisiert, wie auch Sherman, die Rolle als Frau in unserer Gesellschaft. Ein Satz, der immer wieder in ihren Arbeiten vorkommt, der hier heißt »Forever Young. – What can I do that Britney Spears, can not do?« und dann antwortet sie »I can grow up a post-menopausal beard«.
Katrin Günters Arbeit Star Shots, eine Fotoserie aus dem Leben des sizilianischen Mega-Stars Adriana, beobachtet und fotografiert von der ebenfalls gebürtigen sizilianischen Undercover-Papparazza Celentana (Kathrin Günter). In ihren Auseinandersetzungen mit Papparazzifotos in den Klatschspalten ist Kathrin Günter in diesem Genre einer Typologie auf die Spur gekommen. Um die Austauschbarkeit dieser Bilder ironisch auf die Spitze zu treiben, inszeniert Günter sich in der Serie Star Shots selbst zum VIP. Sie bearbeitet vorgefundene Papparazzifotos, um selbst am Leben der Schönen, Reichen und Berühmten teilzunehmen.
Die amerikanische Fotografin Laurie Long ist auch durch zwei Selbstportraitserien in den letzten sechs Jahren bekannt geworden. Als Künstlerin hat Laurie 15 Jahre als Kellnerin gearbeitet, um Geld zu verdienen. Kunst auf der einen Seite, und kein Liebesleben zu haben auf der anderen, brachte sie zu dem Entschluss, ein Projekt zu machen, in dem sie beides verbinden kann. Sie kaufte einen schwarzen, engen Ledermantel und baute eine Pinhole-Videokamera in den Mantel ein. Sie ist damit auf Blind dates gegangen und hat den ganzen Abend gefilmt. Die Serie davor hieß Becoming Nancy Drew. In Amerika gibt es diese Detektivbücher-Serien Nancy Drew. Laurie ist ein echter Nancy Drew Fan. Sie hat, glaube ich, alle drei Bücher gelesen als Kind, um ihrer eigenen Realität zu entgehen. Und sie hat ein Jahr lang sich selbst in Nancy Drew verwandelt. Sie hat sogar ihr Haar blond umgefärbt.
Pippilotte Rist, die letzte in der Reihe, ist auch ähnlich wie Imogen Cunningham. Ich meine, es ist ein bisschen schwierig zu sagen, dass sie wirklich Dokumentarfotografin ist oder dass sie in diese Reihe Rollenspiele passt. Das ist die erste Videoarbeit, die sie gemacht hat in den 80er Jahren: I'm not the girl who misses much. Es gibt wieder diese Anspielung von Rollenspielen der Frau, aber das ist natürlich etwas später ist als die Arbeiten von Cindy Sherman oder Suzy Lake. Die Arbeit spiegelt die Lebendigkeit, dieses laissez-faire der 80er Jahre wider.
Das war mein kurzer Überblick über weibliche Selbstbildnisse. Ich ende hier mit einem Zitat von Diane Arbus: »The photograph is a secret about a secret. The more it tells you, the less you know.«