Eine wichtige Rolle in meiner Arbeit spielt das Untersuchen, Stören, Agieren und Konstruieren – das Hinterfragen des Mediums Fotografie. Begonnen hat meine künstlerische Tätigkeit mit der Aktion. Das ist wohl auch der Grund, warum ich mich gefragt habe, was mache ich beim Fotografieren? Eine Antwort war die Handlung: Finden – Fotografieren – In Besitznehmen – Wegtragen, Berlin 1984. Ich fotografiere einen Gegenstand, hebe ihn auf und siehe da: er hat am Ort, wo er lag, im Sand ein Bild hinterlassen. Diese Doppelung zeigt, dass das Herausreißen des Gegenstandes aus dem Zusammenhang, das Aufheben und Loslösen, ein zentraler Akt ist. Das Bild im Sand bzw. der Lichtabdruck in der Kamera scheint die Abbildfunktion und die Objektivität der Fotografie zu bestätigen.
Ein anderer Punkt meiner Arbeit ist das Sender-Empfänger-Prinzip, die Übertragung von Information, das Wechselspiel von Träger und Getragenem. In Aktionen wie Wirklichkeit-Transport-Abbildung, das Verbrennen eines Fernsehers 1980, habe ich versucht, das darzustellen. Es ist mir wichtig, im Bildraum anwesend zu sein. Das vor und hinter der Kamera, das Hineinspringen ins Bild habe ich häufig thematisiert. Das Körperliche des Fotografierens wird übersehen, da es immer nur um die Bilder geht.
Ein Ausgangspunkt für zahlreiche andere Arbeiten wurde die Serie Störbilder-Stehbilder, Berlin 1984. Ich markiere einen Ort mit dem eigenen Torso, dessen schwarze Silhouette das Bild auslöscht. Eine absurde Vorstellung für einen Fotografen, dem es um das Zeigen und Enthüllen geht. Jede Aufnahme ist eine Störung des Ortes durch den Bildermacher. Das kann er klein halten oder übertreiben. Eine andere Seite ist, dass ich mit dem Eingriff eine Verbindung schaffe, mit dem Gegenstand und dem Ort zu verschmelzen. Da im Ergebnis die Sichtbarkeit gegen Null läuft, wäre ich bei Malewitsch angekommen. Aus dieser Bildidee entstand die Serie: Ein Tag in Ostberlin, 1987, die die Berliner Mauer thematisiert. Kein normaler Mensch konnte von Osten aus an der Grenze die Mauer fotografieren. Ich habe dann mit der Verdeckung eine Form gefunden, die das sinnbildlich rüberbringt, ohne dass ich die Mauer zeige – der schwarze Torso, der die Aussicht verstellt. In diesem Fall bin ich es nicht selbst, es ist ein Double, ein Stuntman, der sich in der Bildserie vom Brandenburger Tor bis zum Alexanderplatz in die Aufnahme drängt.
Das Bildtableau leitet über in eine andere Arbeit, die Unscharfen Porträts Berlin 1989. Ich stelle die Schärfe auf den Hintergrund und fotografiere weiter, mache ein Porträt, als wäre nichts geschehen. Die Methode, bewusst einen Aspekt zu negieren, führt zu ungewohnten Ergebnissen. Ich wurde als »Störbildner« bezeichnet. Dann habe ich den Schritt vollzogen, mit der Aktion Fotografieren verboten! das Bildermachen zu unterbrechen. Da war es dann logisch, sich Fotograf oder Nichtfotograf zu nennen, je nachdem, was man im Moment für richtig hält. Ich liebe die Negation, sie ist ein Mittel, um festgefahrene Strukturen auszuhebeln. Natürlich ist es schwierig als Fotograf, das Nichtfotografieren darzustellen. Ich habe es mit einer Aktion gemacht. Die wurde dann schnell zur Interaktion, die sich ergibt, wenn ich anderen Leuten ein Verbotszeichen hinstelle. Ich komme aus dem Osten, dort durfte man Vieles nicht. Bildmonopol und Staatsmacht gingen Hand in Hand. Die Administration wachte über die Sichtbarkeit und die Auslegung der Wahrheit. Was nicht genehmigt war, bleibt unsichtbar, sozusagen der größere Teil des Eisberges. Um hier etwas auszurichten, musste ich die Macht mit ihren eigenen Mitteln schlagen. Das habe ich 1988 das erste Mal in Moskau auf dem roten Platz gemacht und dann 1989 an der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz in Ostberlin. Als ein Volkspolizist das Fotoverbotsschild sah, forderte er Umstehende auf, ihre Kamera wegzupacken. Begründung: Sehen Sie nicht, hier ist Fotografieren verboten! Als ich dann 1993 die erste kamerafreie Zone in Bamberg einrichtete, hat das niemand interessiert. Die Ungläubigen wollten nicht verstehen, dass ein Virus die Fotomania auslöst. Das Fotoverbot ging dann auf Reisen, von der Wüste Atacama, über Antalya in der Türkei, Bangkok, Brasilia, bis zur Osterinsel. Insgesamt 13 Jahre sollte es dauern, bis es mir zuviel wurde bei jeder Reise das Schild mitzunehmen. Da hatte ich die Verbotspraxis bereits in das Amt für Wahrnehmungsstörungen integriert und meinen Handlungsspielraum ausgedehnt. Es wurden pseudowissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, Bekanntmachungen und Warnungen, herausgeben, die mit der Realität nichts zu tun haben, aber plausibel klingen. Auf öffentlichen Straßen und Plätzen wird die Leere mit Hilfe der Richterskala gemessen. OM-Beobachtungsstationen wurden aufgestellt. Es gab den IM. Der OM, das ist der Offizielle Multiplikator, eine Art Schilderhäuschen. Man kann hineingehen und wird beim Beobachten nicht gesehen. Dann kommen die Röhrenmenschen ins Spiel. Das sind Leute, die zu viel fernsehen und denen die Bildröhre am Kopf angewachsen ist. Sie haben einen Tunnelblick.
Der Lichtsack, oder Black bag over the head, ist eine Form der Andenkenfotografie, die unsere amerikanischen Freunde in Irak erfunden haben. Schwarzhören und Schwarzsehen können Sie jetzt ganz legal, einfach den black bag überziehen und es kann beginnen. Ich habe das selbst probiert, es ist eine bewusstseinserweiternde Erfahrung, eine Stunde den schwarzen Sack über dem Kopf zu haben. Womit wir bei den Verdeckungsbildern Bilder + Blenden 1990-2000 wären. In dieser Zeit habe ich eine schwarze Pappscheibe vor das Objektiv der Kamera montiert, die das Bild auslöscht. Allerdings habe ich einen kleinen Sichtrand gelassen, denn ich wollte nicht völlig blind agieren. Das war spannender und man konnte sehen, wo die Aufnahme gemacht wurde. Die Form dieser Blende variiert nach Einsatz und möglicher Aufgabenstellung. So habe ich Spalten und Öffnungen eingearbeitet oder auch farbige Blenden verwendet. Hier wurde mir klar, dass die sichtbare Wahrheit nur eine scheinbare ist, wenn ich das nicht hinterfrage. Eine Öffnung wird bei den Blenden je nach Kameraeinstellung unterschiedlich groß wiedergegeben. Dahinter steckt das Phänomen der Lichtbeugung und die Wellennatur des Lichtes. Ich nutze es bei der Serie Interferenzen zur Erzeugung von Bildern, für die es keine Realität vor der Kamera gibt, die im optischen System entstehen. Dazu habe ich Streifen fotografiert und davor eine schwarze Dreieckblende positioniert. Im Kamerabild werden die Streifen wie in einem Kraftfeld abgelenkt. In der Physik gibt es den Versuch Lichtbeugung am Spalt, der zeigt, wie das Licht um den Gegenstand wandert. Dadurch öffnet oder schließt sich der Spalt bzw. von einem Gegenstand werden die Streifen bzw. die Lichtwellen abgelenkt.
Zurück zur alltäglichen Wahrnehmung: Das einfachste, im Bild anwesend zu sein, ist die Hand hineinzustrecken. Sie kann durch ein Instrument verlängert oder ersetzt werden, wie die Blende oder das Rohr, das ich bei meiner Bildserie Im Kreis der Wahrnehmung verwende. Die Bilder, die dabei entstehen, können im ersten Moment nicht gleich entschlüsselt werden. Wahrnehmungsinstrument und die Aktion des Fotografen schaffen beim Aufsetzen der Röhre auf den Gegenstand eine neue Bildstruktur.
Die Voraussetzung war ein Grundelement der Kamera als separates Wahrnehmungsinstrument einzusetzen. Dazu muss ich den Apparat als Skulptur begreifen und das Fotografieren unterbrechen. Die Ergebnisse dieser Auseinandersetzung wurden dann natürlich wieder fotografiert, wie eh ja alles in einem Foto endet. Das Kameragehäuse wurde als begehbare Beobachtungsstation eingerichtet, die Blende und schließlich das entkernte Objektiv ohne Linsen als Beobachtungsrohr verwendet. 1993 habe ich das erste Observatorium eingerichtet. Der Ansatzpunkt war, Realität direkt zu zeigen und nicht durch Bilder zu ersetzen. Wenn ich durch eine Röhre die Welt betrachte, wirkt das Gesehene immer noch medial durch die Eingrenzung. Aus dieser Installation ist dann der Röhrenmensch entstanden, sozusagen ein verunglückter Rezipient, der den Kopf nicht aus der Röhre bekommt. Seitdem muss er als RM (abgekürzt für Röhrenmensch) sein Dasein fristen. Es wird mit der Kamera dokumentiert, wie er in den Urlaub fährt, sich zuhause eine Suppe kocht, im Garten arbeitet, im Winter auf dem Schlitten fährt usw. Es geht bis ins Fantastische, wenn er sich als Röhrenflügler in die Luft erhebt. Da die Röhrenmenschen sich zahlreich vermehren, gründen sie eine eigene Partei, die Wahlalternative Röhre und Mensch abgekürzt: W.A.R.U.M. Auf den Wahlplakaten ist zu lesen Rudi Röhre wählen! oder Röhren aller Länder vereinigt euch. Das ist dann bei einer Demo vor dem Brandenburger Tor geglückt, sie haben ein zehn Meter langes Rohr hinbekommen. Viele Röhrenmenschen wählen andere Parteien, weil sie nicht wissen, dass sie Röhrenmenschen sind. Zur Bundestagswahl 2005 hatten die Röhrenmenschen in einem Berliner Hinterhof im Wedding einen Hofstaat und ein Schattenkabinett mit arabischer Schlosskulisse eingerichtet. In einen Video können sie jetzt Rudi Röhre sehen, wie er bei einer Wettfahrt mit seinem Wahlmobil eine fahrbare Blende vor sich her schiebt. Er wird gewinnen!
Zum Abschluss eine Frage aus dem Publikum:
»Gab es irgendwelche unerwarteten Erkenntnisse? Sie planen das ja alles konzeptionell eigentlich ganz gut durch und bauen Apparaturen.«
Das Neue oder das Innovative herauszukitzeln, das ist nicht immer so einfach und es kommt ja auch nicht, indem man sich schlafen legt und am nächsten Tag eine Idee aus einem Traum notiert. Es ist immer ein Experiment, ein Spiel. Wenn ich eine Röhre oder so eine Blende habe, dann arbeite ich damit. In diesem Spiel entsteht etwas Neues. Das ist dieser Moment, der unerwartet kommt, der Sprung, die Innovation. Wenn man die Richtung gefunden hat, geht man weiter und es wird spannend und plötzlich habe ich ein neues Projekt.