Monica Studer und Christoph van den Berg

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Monica Studer und Christoph van den Berg

Erinnerte Requisiten einer fiktiven Landschaft

Jetzt stellt sich die Frage, warum wir uns für eine Schweizer Landschaft entschieden haben. Wir fanden es interessant, etwas zu konstruieren, das wir kennen, was wir selbst erlebt haben, das aber nicht mehr so nahe ist, dass man es 1:1 überprüfen kann. Wir sind beide in der Schweiz aufgewachsen und waren als Kinder oft in den Ferien in den Bergen. Deshalb ist das ganze Design, die Architektur in diese Zeit gerichtet. Natürlich wissen wir jetzt nicht mehr, was wir wirklich erlebt haben, was wir aus der Kunst kennen, was aus Prospekten. Bisher sind ungefähr 4.000 Einzelteile in dieser Welt enthalten, wie z.B. ein Feuerlöscher. Es geht nicht darum, dass das der perfekte Feuerlöscher ist, sondern der, den wir gemeinsam als ›den Feuerlöscher‹ erinnern können.

In der letzten Region von Vue des Alpes gibt es Schnee, einen Gletscher und natürlich etwas zum Ausruhen, ein Restaurant mit Sonnenterrasse. Würde man diese Welt von ausserhalb ansehen, gäbe es darin viele Löcher, denn wir bauen nicht die ganze Welt lückenlos, sondern wir bauen nur dort an, wo man sich auch fortbewegen kann. Zu Vue des Alpes, dem Internetprojekt, gibt es auch Bilder wie das vom Bergrestaurant. Man vermutet, dass hier mehrere Leute anwesend waren, die gerade eine Karte von Vue des Alpes ausgelegt hatten. Jemand hat ein Rivella getrunken, das es nur in der Schweiz gibt. Vielleicht ist jemand mit dem Schlitten unterwegs. Man kann alle Objekte bewegen, die man in der realen Welt auch bewegen könnte, Stühle, Tische, etc. Lediglich die Berge und die Gebäude lassen sich nicht bewegen. Das Licht verändert sich auch. Die Bilder interessieren uns aus zwei Gründen. Einerseits das Erzählerische, womit wir anders umgehen können und aber auch die Ästhetik. Wir können bei den Bildern viel mehr gestalten als im Internet. Sie bekommen eine andere Ästhetik, eine andere Schärfe und eineandere Präsenz.

Zu den Prints gibt es auch Installationen. Vue des Alpes ist ein Reiseprojekt, das hängt inhaltlich mit dem Internet zusammen. Die Browser heißen Safari und Explorer, das verspricht uns, in die weite Welt zu gehen. In die weite Welt gehen, das hat auch etwas mit Sehnsucht und Entdeckung zu tun. Es geht nicht darum, einen absoluten Naturalismus zu erzeugen. Es ist z.B. nicht Wasser, sondern es ist immer noch etwas digital hergestelltes, das wie Wasser aussieht. Diese Art von Realismusnähe zu erzeugen, darum geht es und nicht darum, zu behaupten, man könnte mit digitalen Mitteln fast noch wirklichkeitsnäher oder wahrer als mit echter Fotografie arbeiten.

Ein anderes Projekt, was auch mit Panoramen zu tun hat und mit Vue des Alpes ist die Gleissenhorn-Livecam. Das kennt man vor allem in der Schweiz, am Sonntagmorgen sieht man im Fernsehen in die Skigebiete mit den Livecams, ob man Skifahren gehen kann oder nicht. Damit kann man sich über das Wetter informieren. So kann man es hier auch. Am 21. April 1447, mehr oder weniger live, das Wetter in Vue des Alpes wie es jetzt im Moment ist. Praktischerweise ist das Tool nicht nur eine Livecam, sondern auch eine Zeitreisemaschine. Man kann auch sehen, wie das Wetter vor fünf Tagen war. Es gibt etwa 18.000 verschiedene Wetterstimmungen. Die werden zusammengemischt und alle zehn Minuten wird die neue Wettersituation abgebildet.

Es ist sehr spannend, dass auch kunstgeübte Leute, die die Live-Cam anschauen, weiterreisen, z.B. ins Jahr 1860 und sich fragen: »Aber die Gletscher, die waren da doch noch größer. Und was ist denn mit der Bergstation. Das sieht doch aus wie in den 60er Jahren gebaut.« Das ist natürlich schon so. Wir bilden hier nicht die Wirklichkeit ab. Uns interessiert hier das Wetter und die Tageszeit und nicht, was im Jahr 0 war, denn im Jahr 0 war Vue des Alpes auch schon da. Es ist trotzdem so eine Art Wahrheitsbeweis, da genau in dem Moment, wo man annimmt, dass sich wirklich etwas verändern kann, wird auch das ganze Vue des Alpes-Projekt ein bisschen wahrer. In Aichi für die Weltausstellung 2005 hatten wir eine Art ›Berg in der Kiste‹ geschaffen. Die Besucher, sahen die Ausstellung im Berginneren, stiegen dann eine Treppe hoch und kamen auf einer Terrasse wieder heraus und waren komplett umgeben von einer Art Fauxterrain zum Panorama. Auch hier wurde nie verheimlicht, dass man eigentlich in einer Halle in Japan steht. Das hat gerade in Japan sehr gut funktioniert, weil dort auch eine eigenartige Tendenz besteht, es einfach so hinzunehmen und zu sagen, es ist wie Natur. Es ist alles wunderbar gemacht, aber es ist immer noch in einer Halle und keiner der Japaner oder Japanerinnen würde je behaupten, es sei nicht das wahre Objekt, weil es in einer Halle ist.

Das letzte Projekt ist ein neueres. Es heißt Wiese und das Schreiten über eine Wiese wird quasi von Hand erledigt. Man hat einen Trackball, der das Abschreiten einer Wiese auf die Hand überträgt. Man sieht ein Set von Pflanzen, das zufallsgeneriert gesetzt wird. Bei jedem Neustart wird neu gewählt, wo diese Teile sich befinden. Für die Wiese haben wir Pflanzen ausgewählt, die für uns der Begriff einer Alpenwiese sind. So kann es sein, dass einzelne Pflanzen gar nicht in der gleichen Jahreszeit blühen würden. Man kann unendlich lange geradeaus gehen und kommt nie an ein Ende. Man wird nie den Blick heben können. Es ist einerseits idyllisch schön und andererseits wird man nie wissen, wo man sich befindet. Im Gegensatz zu Vue des Alpes, wo man sich einfach von Bild zu Bild durch einen vorgegebenen Weg klickt, kann man bei der Wiese frei wählen, wo man durchgehen möchte.

Die Frage nach Second Life *, und wie das mit unserer Arbeit zu vergleichen ist. Die beiden Projekte haben nicht viele Gemeinsamkeiten, außer den technischen Gegebenheiten oder gewissen technischen Verfahren. Vue des Alpes ist der Ort im Internet, wo man nicht gezwungen ist, ständig zu kommunizieren. Es ist kein grafischer Chat, sondern man soll die Möglichkeit haben, sich anhand von Bildern auch im Internet zu erholen, falls so etwas überhaupt möglich ist. Wir wissen nicht, wie wichtig Second Life ist, das im Moment in aller Munde ist, und die Vorstellung, dass man sich so miteinander austauscht, die ist schon relativ alt. Wir nehmen an, dass diese Dinge viel alltäglicher werden für die nachkommende Generation. Trotzdem ist Vue des Alpes ein Projekt, das zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt im Internet angefangen hat und wir lassen es so, wie es damals funktioniert hat mit der Technik und den ganzen Objekten, die darum herum gebaut sind. Wenn wir neue Teile anbauen, werden wir deswegen nicht ein komplett neues Interface gestalten, sondern wir versuchen, das möglichst einfach zugänglich zu halten, immer mit dem Wissen, dass es unter den Voraussetzungen des Jahres 2000 entstanden ist. Second Life ist kein Kunstprojekt, es versucht, reale Vorgänge zu übernehmen und abzubilden. Das ist in Vue des Alpes anders, hier geht es mehr um die Frage nach dem Ort, was heute nicht mehr so präsent ist. Vor sieben Jahren hat man sich gefragt, ist das Internet ein Ort? Was heißt Ort überhaupt? Vue des Alpes ist deshalb so etwas wie ein Zeitdokument. Wenn es ein gutes Zeitdokument ist, dann hat es auch jetzt noch eine Gültigkeit. Wenn nicht, dann wird es irgendwann abtauchen.

* Second Life, entwickelt von einer US-Softwarefirma, ist eine virtuelle Welt, die von ihren ›Bewohnern‹ erschaffen und gestaltet wird. Es wird dort gebaut, gehandelt und ›gelebt‹.

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