Am Anfang möchte ich mich einordnen in die Tage der Fotografie, da ich kein Fotograf bin. Von Fotografie habe ich gerade so viel Ahnung, dass ich prinzipiell weiß, wie die Schwarzweißfotografie entwickelt wird. Ich weiß soviel, dass ich mit meinem Fotografen reden kann und erklären kann, worauf ich hinaus will. Wenn ich dennoch in diese Vortragsreihe gehöre, dann dreht es sich darum, dass ich konstruiere. Erstellen – das möchte ich bei mir als Konstruktionsurgrund hervorheben. Ich sehe mich als einen Regisseur oder einen Romanautor, der eine fiktive Wirklichkeit entstehen lässt. Ich lasse Wirklichkeiten im Gehirn des Betrachters entstehen. Kann man die Wahrheit konstruieren, das ist die Frage. Ich bin letztendlich der Überzeugung, es gibt nur eine Wahrheit. Und ich glaube nicht, dass man sie konstruieren kann. Sie ist da. Was man konstruieren kann, sind Lügen oder Wirklichkeiten. Deswegen beziehe ich mich jetzt immer darauf, dass ich Wirklichkeiten konstruiere.
Meine Arbeiten zeigen grundsätzlich immer Orte, Architektur oder Natur. Man sieht gewisse Eingriffe des Menschen oder sie sind vollständig von Menschen erschaffen. Ich zeige Ausschnitte oder Ecken von größeren Ensembles. Das heißt, ich lasse genügend Raum für den Betrachter, für sich selbst die Geschichte oder das Bild fortzusetzen. Generell inspiriert mich persönlich ein Ort, den ich im realen Leben erlebe. Ich recherchiere dann nach ähnlichen Orten, Varianten dieses Ortstypus, den Maßen, den Farben, welche Strukturen weist ein Ort auf, wie sehen seine Oberflächen aus. Danach beginne ich, von diesem Typus meine Version zu entwerfen, anfangs mit Skizzen und später als gebautes Modell. Die Komposition ist von Anfang an wichtig, denn ich bin der Meinung, dass man einen bestimmten Ort, um seine Atmosphäre einzufangen, mit einer bestimmten Komposition verbinden kann. Ich suche für mich nach der perfekten Komposition für eine ganz bestimmte Art von Ort – für jeden Ort neu. Alles das hängt mit meiner persönlichen Interpretation des Ortes zusammen. Am Ende habe ich einen Fotografen, Volker Rudolph, mit dem ich seit 1997 zusammenarbeite und der meine Vorstellungen mit mir zusammen umsetzt.
Jedes Modell, das gebaut worden ist, hört fünf Zentimeter rechts, links, oben oder unten tatsächlich auf. Das heißt, ich baue genau auf diese Sicht hin und weiß, was ich im Bild haben möchte. Ich konstruiere eine Welt bzw. ich konstruiere eine Weltsicht oder eine Wirklichkeit. Weltsicht deswegen, weil es die Erlebnisse sind, die ich selbst hatte – durch meine eigene Brille gesehen und reflektiert. Oder eben Wirklichkeit. Ich konstruiere im Prinzip verschiedene Wirklichkeiten. Ich konstruiere erstens die Wirklichkeit, die in meinem Studio tatsächlich steht. Ich konstruiere zweitens die Wirklichkeit, die aus meinen Erfahrungen entsteht. Die dritte Wirklichkeit ist die, die im Betrachtergehirn entsteht. Wobei offensichtlich wird, dass ich keine Lüge zeige. Wenn ich am Anfang gesagt habe, Lügen könne man konstruieren – ich selber lüge nicht. Der Betrachter dichtet sich die vierte Wirklichkeit dazu, nachdem er weiß, dass es lediglich ein Modell ist: den Aufbau und die Situation im Atelier. Und es gibt eine fünfte Wirklichkeitsebene. Die ist am schwierigsten zu begreifen. Das ist die Wirklichkeit, die ich konstruiere, das Klischee aus all den möglichen Varianten dessen, was Sie alle sehen. Das Klischee, das bereinigt da ist, das, was eigentlich am wenigsten kommuniziert werden kann. Wir nehmen banale Orte nicht wirklich bewusst wahr. Meiner Meinung nach ist dieses Erleben, das wir haben, angesichts medial vermittelter Bilder im Prinzip das Originärste, was wir haben. Die Bilder sind veränderbar. Die kann man weitertransportieren. Über Klischees kann man reden. Aber, das was wirklich in uns geschieht, wenn wir eine originäre Erfahrung machen – und sei sie noch so sehr initiiert durch eine ganz banale oder massenhafte Abbildung – diese Erfahrung ist unkommunizierbar und findet in uns statt. Und das finde ich extrem spannend, dass ich mit meinen Bildern etwas auslösen kann, das in den Menschen selbst stattfindet. Inspiriert wurden meine Arbeiten durch den Film. Fellini ist für mich ein faszinierender Geschichtenerzähler, der mit den Orten gelebt hat, in denen seine Filme spielten. Er war wahnsinnig assoziativ, seine Bilder waren rauschhaft. Diese Regisseure, ob Fellini oder Tarkowskij, haben es geschafft, zwar ihre eigene Geschichte zu erzählen. Dennoch haben sie in ihren Filmen so ungeheuer viel offen gelassen, dass es dem Publikum möglich war, seine eigene Geschichte parallel laufen zu lassen. Der Meister dieser Art zu drehen war für mich Jacques Tati.
Etwas, das mich auch aus dem Film fasziniert hat, sind Nachtaufnahmen, die an sich eine komische Ästhetik haben. Die Amerikanische Nacht z.B., es wurde bei Tageslicht dunkel gedreht und blau eingefärbt, um damit den Eindruck zu erwecken, es wäre Nacht gewesen. Mittlerweile ist man dazu übergegangen, dass Nachtaufnahmen in heutigen Filmen tatsächlich nachts gedreht werden. Die Nacht heute ist fast taghell im Film, da viele Scheinwerfer die Szene beleuchten – und häufig ist sie blau. So wie in Die Landstraße – einem Film von mir aus dem Jahr 2002. Man sieht auf der rechten Seite eine Hecke. Hinter dieser Hecke ist ein Baum. Da scheint ein Grundstück zu sein. Es deutet sich ein Haus an. Vorne eine Landstraße. Hinter der Landstraße ein Feld. Und im Film regnet es. Es gibt ununterbrochen diesen Regen auf der Landstraße, es verbreitet sich eine Atmosphäre. Es war für mich faszinierend, zu sehen, wie reagiert der Betrachter darauf, wenn diese Inszenierung einfach auf ihn losgelassen wird und ständig läuft. Der Effekt ist, dass die Leute sich erstmal hinsetzen, damit sie ruhig werden können. Der nächste Effekt ist, dass sie anfangen, etwas zu erwarten – irgendeine Handlung. Jeder Film zeigt nur ein einziges Bild. Die Kamera steht still. Das einzige, was sich in diesem Fall bewegt, ist der Regen. Dabei ist es wirklich so, dass offensichtlich durch dieses bewegte Moment die Betrachter etwas erwarten. Die nächste überraschende Geschichte war, dass niemand gesagt hat: »Das ist aber eine Kulisse«. Wir haben als Betrachter schon längst ungeheuer viel an Lüge akzeptiert. Wir hinterfragen es nicht mehr. Es interessiert uns vielleicht auch gar nicht mehr, wie ein Wald bei Nacht aussieht.
Nach den Filmen wollte ich dem Betrachter etwas zu sehen geben, etwas zum Wandern für die Augen. Ich wollte eine klarere atmosphärische Assoziationskraft und so kam ich auf die Idee, die Rohbauten zu bauen. Große architektonische Würfe sind das nicht, aber sie sind für mich im Prinzip die Fortsetzung der Filme mit anderen Mitteln. Ich wollte Spuren legen, Spuren und Oberflächen zeigen. Wie bereits festgestellt, erweitert der Betrachter meiner Bilder die Wirklichkeit, je nach seiner eigenen Erfahrung. Was passiert, wenn ich Bilder kombiniere, die nichts miteinander zu tun haben, wie erzählt der Betrachter sich dann diese Geschichten. Das hat mich ich auf die Idee mit den Seiten gebracht, an denen ich heute noch arbeite. Sie haben grundsätzlich mehrere Bilder auf einem Bildträger. Es gibt nie einen allzu deutlichen Zusammenhang. Ich versuche, durch diese Einzelbilder Interaktionen und Beeinflussungen in der Rezeption der Betrachter hervorzurufen. Das Ganze ist auf einem ganz subtilen Level angelehnt an das Prinzip der Montage im Film. Sergej Eisenstein hat das zum ersten Mal in seinem Film Panzerkreuzer Potemkin bewusst agitatorisch eingebaut, die Kombination eines Bildes mit einem zweiten Bild, das eigentlich nichts miteinander zu tun hat, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.
Ich arbeite seit diesen Seiten bewusst mit der digitalen Fotografie. Die lässt es am besten zu, dass die Bilder zusammengebaut werden können. Die lässt es auch zu, dass man bestimmte Filter nehmen kann und sie lässt es vor allen Dingen auch zu, dass man wesentlich besser mit der Tiefenschärfe arbeiten kann. Die digitale Fotografie lässt uns einige Modelle abfotografieren, sozusagen Fabeln machen, die wir vorher nicht bearbeiten konnten, weil die manuellen Möglichkeiten nicht gegeben waren. Die neueste Arbeit Seite 5 aus dieser Serie können Sie in diesen Tagen im Designhaus sehen.
Anmerkung aus dem Publikum:
»Ich würde Sie gerne doch noch in der Fotografie verhaften. Die Bilder, mit denen Sie so bekannt geworden sind, spielen auf eine Ästhetik an, die man aus der Becherschule kennt. Sie haben dadurch verstört, dass Sie in einer Zeit damit gekommen sind, wo man sich vielleicht schon daran satt gesehen hatte und plötzlich erfährt man, es ist ein Modell, Sie haben das irgendwie auf den Punkt gebracht.«
Ich war ein Riesenfan von den Bechers, gerade während der Studienzeit haben sie mich sehr fasziniert. Sie machen im Prinzip das gleiche wie ich, sie fotografieren Objekte möglichst neutral. Auch mich hat interessiert, neutral vorzugehen. Die ursprüngliche Idee war: Was kann ein Modell erzählen, wenn ich es nicht großartig inszeniere. Die ersten Ideen waren, noch während des Studiums, dass ich mit Guckkästen gearbeitet habe. Das waren große schwarze Kästen mit kleinen Fenstern drin. Ich stellte aber fest, dass sie nur eine Jahrmarktillusion transportieren konnten. So kam ich zur Fotografie, indem ich der Meinung war, wenn ich dieses Modell an sich so nüchtern wie es ist, mit den Qualitäten, die es hat, mit der Struktur, mit den narrativen Assoziationen transportieren will, muss ich es fotografieren, und zwar mit genau dem Ausschnitt, den ich haben will. Damit ist für mich die Fotografie ein Mittel zum Zweck. Ich fand es sehr witzig, dass die Bilder wie aus der Becherschule ausschauten. Doch diese Ironie leiste ich mir.