Ein Zeitungsfoto bedient den Wunsch des Lesers, sich in der Realität zurecht zu finden. Mit dem Griff nach der Zeitung werden Bilder als Dokumente betrachtet, als Beweise herangezogen, sie sollen immer noch Zeugnis ablegen. Sie sollen uns etwas Wahres von der Welt zeigen, damit wir sie begreifen. Wir haben es besser gelernt. Texte zu lesen als Bilder. Worte werden häufiger kritisch hinterfragt. Fotos werden schneller und flüchtiger wahrgenommen. Was sind die ökonomischen und politischen Ziele, warum wird uns ein Bild gezeigt? Es wird kaum thematisiert, dass Fotos konkurrierende Waren sind, ihre Veröffentlichung sie zum Konsumartikel machen.

Ein geglücktes Foto soll eine komplexe Situation in einer Teilsekunde der Belichtung einfrieren und gilt als besonders gut, wenn es dem Anspruch genügt, über diese kurze Zeitspanne hinaus eine Wirkung zu haben. Ein Bild ist nie Abbild der Wirklichkeit und soll doch immer so wahrheitsgetreu sein, wie das Objektiv, durch das der Fotograf schaut. Es ist ein Trugschluss, dass dabei ein objektives, das heißt sachliches und in der Meinung unabhängiges Bild entsteht. Debatten um Manipulation und Fälschung, Propaganda und Zensur gibt es seit den Anfängen des Fotojournalismus. Der Betrachter von Zeitungsfotos weiß, dass Bilder lügen können und möchte doch immer wieder glauben, dass ein Bild das darstellt, was er darin erkennt. Das Bild wird wie ein unverfälschter Rohstoff des Lebens gesehen. Der Prozess der Interpretation des winzigen Bruchstücks Lebens, den ein Fotograf mit seiner Sehweise vornimmt, wird selten reflektiert. Wieviel Wahrheit oder welche Wahrheit dem Leser zumutbar ist, darf keine Rückschlüsse aufs Kaufverhalten haben.

Das ethische und moralische Empfinden des Lesers müssen ebenso einbezogen werden, wie seine Scham oder das Ausmaß an Grausamkeit, das er akzeptiert. Will der Leser unterhalten werden mit leichter Kost? Soll das gezeigt werden, was er kennt und schnell entschlüsseln kann? Oder soll seine Aufmerksamkeit im unaufhaltsamen Bilderstrom durch Wahrnehmungsschocks gereizt werden? Bilder sollen nicht befremden, sondern in der Regel das Gefühl der Fremdheit in der Welt überwinden. Schwer zu entschlüsselnde Bilder oder widersprüchliche Inhalte bleiben auf der Strecke. Vielmehr werden Standardisierungen und Stereotypisierungen reproduziert, denn diese sind dem Zielpublikum vertraut. Fotos sind in Zeitungen fast ausnahmslos Worten zugeordnet, als Diener sind sie untergeordnet. Sie sollen die Aussage in der Regel unterstreichen. Bildunterschriften bieten eine Art Leseanleitung und sollen einen Link zum Haupttext haben. Was nicht ins Konzept der Zeitung passt, findet schwer einen Weg ins Blatt. Diese Prozesse führen auch zu einer Vereinfachung der Wirklichkeit, einer Verflachung von Inhalten.

Zeitungen können Politiker hoch- und runterschreiben. Meistens hat die eine oder andere Richtung Konjunktur. Es ist seltsam, dass sich konkurrierende Medien häufig in die gleiche Richtung bewegen, so als müssten sich Kommentatoren gegenseitig bestätigen. Zur Unterstützung dieser Moden werden die entsprechenden Bilder gebraucht. Wie wandelbar die Darstellung eines Menschen in der Öffentlichkeit sein kann, dafür ist die wundersame Verschönerung von Angela Merkel ein gutes Beispiel.

Angela Merkel, die als »Kohls Mädchen« die politische West-Bühne betrat, ist von Anfang an durch Ungeschliffenheit und Uneitelkeit aufgefallen. Als Frau aus dem Osten und Naturwissenschaftlerin hat es sie sicher erstaunt, dass das äußere Erscheinungsbild einer Frau dauernd thematisiert wird. Zunächst als Ministerin für Frauen, Familie und Sport, später Umweltministerin. Diese Ressorts waren damals noch nicht so publikumswirksam wie heute. Dennoch wurde die Öffentlichkeit häufig mit Fotos unterhalten, die ihre Unbeholfenheit thematisierten. Jeder Fotograf weiß, dass es nicht besonders schwierig ist, einen entgleisten Gesichtsausdruck zu erwischen, wenn eine Person über Stunden beobachtet wird. Im Kampf um die Macht hat Angela Merkel einige Schmach über sich ergehen lassen müssen. Es war en vogue, sich über die Politikerin lustig zu machen. Wie bei einem Kind waren ihr alle Regungen anzusehen. Kaum jemand war bereit, diese Mimik als Ausdruck eines authentischen Politikers hinzunehmen. Zwar wird Politikern im allgemeinen Verlogenheit vorgeworfen, doch so ehrlich wollte man sie auch nicht haben. Vielmehr verlangt die Öffentlichkeit nach Politikern, die sich unter Kontrolle haben. Nicht nur Satiremagazine überschlugen sich mit lächerlichen Merkel-Fotos. Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass Angela Merkel umzingelt war von Feinden auf dem Höhepunkt der Machtergreifung. Hinter dem heute gewandelten Merkel-Bild steckt harte PR-Arbeit. Mit Zunahme von Macht wächst auch die Kontrolle über die Bilder von einer Person. Macht bedeutet Einfluss auf die Darstellungsweise. Möglichst kein Bild soll dem Zufall überlassen werden, öffentliche Auftritte werden bis ins Detail vorbereitet, Hintergründe und Kulissen für Fotos festgelegt, sorgsam ausgewählt, damit die Regentin im günstigen Licht erscheint. Merkel – makellos – das scheint gewünscht.

Publizistisch bedeutsamer als die Frage nach dem ›richtigen‹ Foto von einer Person ist die Frage, mit welchen Bildern ein Krieg dargestellt werden kann. In die leichte, unbeschwerte Sommerstimmung nach der Fußball-WM 2006 schwappte mit den Tageszeitungen täglich der Krieg zwischen Israel und Libanon an den Frühstückstisch. Dieser Krieg produzierte im Vergleich zu vorhergegangenen archaische Bilder. Zunächst vor allem die leidende, fliehende Zivilbevölkerung, die in Massen versuchte, das bombardierte Beirut zu verlassen. Wer einen ausländischen Pass hatte, floh auf Schiffen ins sichere Ausland. Ausgebombte Obdachlose harrten über Tage hungernd und durstend in sengender Sonne aus.

Es gab Fotos von leidenden Zivilisten auf israelischem und libanesischem Boden. Es gab Opfer und Täter. Die Stellungen der israelischen Armee wurden ausführlich dokumentiert, betende Soldaten, verletzte Soldaten, Kampfhandlungen aus der Ferne, Zerstörungen aus der Nähe. Deutsche Zeitungen waren bemüht um Ausgewogenheit. Dem Vorwurf der Parteilichkeit wollten sie mit einem Vergleich des israelischen und libanesischen Leidens, im Wechsel oder mit Parallelschnitten in einer Ausgabe aus dem Weg gehen. Mit der Schlacht begann die Schlacht um die Bilder, die Debatte um Wahrheit und Fälschung. Die Leser, d.h. Käufer, reagierten sensibel. Schnell war der Vorwurf propagandistischer Bildberichterstattung im Raum. Es gibt keine neutralen Bilder vom Krieg. Ein Bild ist nie in der Lage, einen Konflikt so differenziert wie 1000 Worte darzustellen. Obwohl jeder Leser und Blattmacher weiß, wie manipulativ Kriegsbilder sein können, wird doch am Einzelbild der Schrei nach Wahrheit laut. Im Vergleich etwa zur britischen Presse verhalten sich die deutschen Medien zaghaft. Die Abbildung von Toten wird möglichst vermieden. Das Gebot, eine frühstücksgerechte Zeitung zu machen hält lange an. Nachrichtenagenturen liefern Dokumente eines Geschehens. Zwar gibt es Zensur und mit dem ›Embedded Jounalism‹ im Kriegsfall, die Gefahr von manipulierten und gesteuerten Journalisten. Aber die Verbreitung manipulierter Bilder ist ein Tabu. Davon gehen Anbieter und Empfänger aus. Eine Aufnahme der Agentur Reuters wurde dabei ein Exempel für gefälschte Fotos. Der freie Mitarbeiter Adnan Hajj hatte seine Aufnahme vom brennenden Beirut am 5. August nachbearbeitet, den Rauch stärker gemacht als er tatsächlich war. Diese Nachbearbeitung hatte Konsequenzen. Am folgenden Tag wiederholte die Agentur das bearbeitete Bild und verglich es mit dem Original. Im Text folgte die Stellungnahme, dass der Freelancer von der Agentur nicht mehr beschäftigt würde.

Die renommierte Auszeichnung für den Fotojournalismus ist der World Press Photo Award. In der Regel wird ein Foto aus dem Krieg oder Konflikt des Jahres prämiert. 2006 erhält Spencer Blatt den ersten Preis in der Kategorie News. Es zeigt fünf junge leichtbekleidete Menschen, die in einem roten Auto mit offenem Verdeck durch Dahye, einem Vorort von Beirut fahren. Hinter ihnen die Trümmer des Krieges. Kurz nach der Veröffentlichung des Preises machte der Textjournalist Gert van Langendonck die jungen Menschen ausfindig und erzählte die Geschichte hinter dem Bild. Es handelt sich keineswegs um gestylte Kriegstouristen, wie die Zeitschrift Paris Match in ihrer Bildunterschrift behauptet hatte. Hier irrten die Interpreten der Paris Match, weil das Motiv nicht mit ihren Klischees der Beiruter Jugend übereinstimmten. Der Fotograf hatte niemals behauptet, dass es sich um Kriegstouristen handelt. Er hatte sie weder als Christen noch als Moslems bezeichnet, sondern als wohlhabende Libanesen. Dennoch hagelte es nun Vorwürfe und wieder wurde die Echtheit des Bildes in Zweifel gezogen, der Vorwurf einer Inszenierung laut. Auch unter Fotografen war die Auszeichnung umstritten. Während einige den Bruch mit der traditionellen Kriegsfotografie begrüssen, gibt es kritische Stellungnahmen. Der libanesische Fotograf Samer Mohdad nennt die Auszeichnung »eine Beleidigung aller Nachrichtenfotografen, die ihr Leben riskiert haben, um über diesen Krieg zu berichten.« Die auf dem Foto Abgebildeten halten das Foto von Spencer Blatt für gefährlich: » … es lenkt von der harten Realität des Krieges ab. Es bestätigt, was viele Menschen im Westen jetzt schon glauben: Krieg passiert nur denjenigen, die nicht so aussehen wie sie.« Der Urheber bemerkt: »Ich glaube, das Foto stellt unsere stereotypen Vorstellungen von Kriegsopfern infrage. Und vielleicht sogar unser Verständnis vom Krieg an sich. « Wie Bilder aus einem Krieg gelesen werden, sagt viel über die Klischees der Betrachter aus. Man kann darin nur lesen, was man weiß. Was man nicht wissen will, das sieht man nicht.

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