Worüber ich hier berichten will, ist die sog. wahre Geschichte über das Projekt Tehran re-mixed, das ich 2003/04 begonnen habe. Damals war ich Designstudent an der Azad Universität in Teheran. Meine ersten Fotoprojekte sind schon vor dieser Zeit entstanden. Die Ausbildung umfasste die verschiedensten Medien und Disziplinen. Unter anderem Fotografie, damals noch analog, da digital sich 1998 noch nicht durchgesetzt hatte. Doch schon 2000 begann ich digital zu fotografieren. Der Boom fing damals auch bei uns an. Als ich meine Website gestaltete, überlegte ich, wie ich meine Fotografien dort einbinden könnte.
Mir wurde bewusst, dass wir lange brauchen würden, um dieses für uns neue Medium Internet zu verstehen. Ich surfte im Netz und schaute mir viele Seiten an. Dabei entdeckte ich Bilder von privaten Situationen, die eindeutig gestohlen und unautorisiert veröffentlicht worden waren. Szenen von privaten Partys oder aus Cafés. Die Bilder wurden häufig angesehen und unter den Usern ausgetauscht und zwar ohne Zustimmung der abgebildeten Personen. Ich störte mich daran und überlegte, ob es auch eine Möglichkeit gäbe, Bilder zu zeigen ohne dabei die Privatsphäre der Menschen zu verletzen. Allerdings war ich jung und unerfahren und stieß daher schnell auf Probleme, von denen ich nun berichten möchte. Das erste Bild, das ich machte, zeigt zwei Männer und eine junge Frau im Vordergrund, die Zigarettenrauch in die Luft bläst. Es ist in einem Café entstanden, das ich oft besuchte.
Anfangs habe ich die Gesichter von Männern und Frauen verdeckt. Die Serie hieß zunächst Coffee Shop Series, wurde dann aber zu Coffee Shop Ladies, da die Frauen in den Bildern immer dominierten. Den ersten Denkfehler beging ich aber, als mir auffiel, dass iranische Kaffeehäuser eine lange Tradition als gemeinsamer Treffpunkt für Männer haben. Aus diesem Grund begann ich die Gesichter meiner männlichen Freunde und der anderen Männer unverdeckt zu zeigen. Wie ein Papparazzi habe ich mit versteckter Kamera auch Bilder von Fremden gemacht. Die Tatsache, dass ich nun aber Bilder veröffentlichte, welche die Identität der abgebildeten Personen verrieten war mir unangenehm. Schließlich hatte ich nicht ihre Zustimmung und man kann nie wissen, was mit den Aufnahmen später passiert. An dieser Stelle möchte ich kurz über die Reaktion der iranischen Regierung sprechen. Lange Zeit war sie nicht daran interessiert, wie sich ein Großteil der Gesellschaft im Web präsentiert, auch Zensur gab es nicht. Aktuell wird es für sie immer wichtiger, weil sie merkt, wie viel Energie darin steckt. Bisher wurden bereits Zensuren für pornographische Seiten und politische Portale eingesetzt.
Die Bilder dieser Serie wurden in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet und missbraucht. Normalerweise gestalte ich meine Arbeiten so, dass ich sie auch dort, wo ich lebe, zeigen kann. Zunächst zeigte ich das Projekt in einer Ausstellung im gleichen Café, das auch auf den Bildern zu erkennen ist. Die Reaktionen der Betrachter waren sehr verschieden. Grundsätzlich konnte ich sie im Iran grob in zwei Gruppen einordnen. Die einen dachten, ich würde mich für die Rechte der Frauen einsetzen, die Unterdrückten portraitieren und ihnen eine Stimme verleihen. Die anderen kritisierten mich als ›männlichen‹ Künstler, weil ich die Gesichter der Frauen weiß ließ und sie damit sozusagen zensierte.
In der Multimediaversion kann man auf die Gesichter klicken und ihren Gesprächen zuhören. Ihre Gesprächsthemen waren sehr interessant für mich. Ich lud die Personen auf den Fotos nochmals ein, Alltagsgespräche zu führen. Die O-Töne der Aufnahmen wurden dabei nicht manipuliert. Die Gespräche drehen sich um Examen, Cafés, Anstellungen und wie es ist ins Café zu gehen. Die gleiche Arbeit wurde in zwei verschiedenen Ländern gezeigt und dabei ganz unterschiedlich interpretiert. In Deutschland wurden die Bilder in einem Katalog abgedruckt. Die Kuratoren verstanden sie als Zensur und Unterdrückung der Frauen, obwohl ich eine ganz andere Interpretation lieferte. In den USA wurde das Projekt in einer Ausstellung für Verständigung gezeigt. Die Arbeit wurde dort dafür gelobt ein sehr fröhliches und glückliches Bild vom Iran zu zeigen. Die Tatsache, dass man als Künstler kaum mehr Kontrolle über seine Bilder hat, wenn man sie im Internet veröffentlicht, hatte für mich zunächst unangenehme Folgen.
Nach meiner ersten Ausstellung im Café in Teheran bekam die Arbeit große mediale Aufmerksamkeit: Interviews im Radio, auf Webseiten wie BBC Persian und Iranian.com, die von Exiliranern in den USA geführt wird. Meistens wurde die Arbeit, aber ohne den Link zum Multimedia Part auf meiner Webseite präsentiert und verlor damit einen ganz essentiellen inhaltlichen Aspekt. Hinzu kommt die Schnelligkeit, mit welcher sich Bilder verbreiten. Oft werden sie dann auch noch von Leuten beschrieben, welche die Geschichte dahinter nicht gelesen haben. Als das Projekt startete, war es eine großartige Sache, private Bilder im Web auszutauschen, aber heute ist es völlig normal geworden.
Was sagen diese Bilder also wirklich? Portraitieren sie eine lebendige Gesellschaft oder handeln sie von Unterdrückung und dem Leben unter schweren Bedingungen? Ich beschloss mich bei meiner weiteren Arbeit an dem Projekt auf die Tatsache zu konzentrieren, dass nur sehr wenige Bilder aus meiner Heimat veröffentlicht werden. Unabhängig davon, ob Bilder einen künstlerischen oder dokumentarischen Hintergrund haben, werden sie als Informationsquelle gesehen. Sie funktionieren wie kleine Schnipsel anhand welcher unsere Gesellschaft analysiert wird. Mein Bruder erhielt per E-Mail eine Art Kettenbrief, in welchem mein Text komplett gestrichen war, der Titel der Arbeit verändert wurde und nicht einmal mein Name erschien. Die Mail handelte von ›Neuen‹ Bildern von Iranischen Mädchen, das Neueste aus Cafés in Teheran.
Heute kommen viele Journalisten in den Iran, weil sie sich für andere Seiten des Landes interessieren. Es ist nicht ihre Absicht Tschadors, unterdrückte Menschen, leidende Frauen oder moralisierende Martyrer in den Straßen zu fotografieren. Vielmehr geht es ihnen darum ein ›alternatives‹ Bild von Teheran zu zeigen. Letztlich landen sie aber meistens in irgendwelchen Studios bei unbekannten Musikern, besuchen Partys und Konzerte, oder fallen über die Homosexuellen- und Street Art-Szene her. Das war für eine Weile sehr angesagt und die Themen wiederholen sich daher ständig und sind für uns Iraner eher langweilig.
Nachdem eine beliebte Webseite die Bilder veröffentlichte, bekam ich eine seltsame E-Mail von einer Lehrerin. Sie schrieb: »Hallo, ich bin eine Iranisch-stämmige Amerikanerin und arbeite für die US Armee und würde gerne Ihre Multimedia Show meinen Studenten zeigen. Sie würden jede Menge dabei lernen, wenn Sie hören, wie Iranische Mädchen sich unterhalten.« Das war 2005, als Amerikanische Soldaten Persisch lernten. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte und antwortete nur, dass die Arbeit bereits überall verfügbar wäre und ich sie nicht davon abhalten könnte, sie zu zeigen. Um es auf den Punkt zu bringen, es war ein Fehler, das Ganze auf meine Webseite zu stellen.
Die nächste Arbeit Party Series sollte noch mehr private Momente zeigen. Ich glaubte immer noch daran, dass es möglich sein musste, von dieser geschlechterfixierten Diskussion los zu kommen und meine Fehler zu korrigieren. Vier Jahre lang habe ich unser Leben fotografiert, jeden Moment, ca. 800 und mehr Bilder in der Woche. Mit einer kleinen Kamera, die auch Videos aufzeichnen konnte. Ich hatte viele Freunde zu dieser Zeit, habe aber ein paar verloren, als ich mit der Serie anfing und wurde immer seltener zu Partys eingeladen. Zu sehen sind: Chill-outs, Clubs, private Feten, Modesessions, Geburtstage oder Abschiedspartys.
Ein Grund diese neue Serie zu machen war für mich auch die weiter oben bereits beschriebene Art von Journalisten, die ich ›Einmal-Besucher‹-Journalisten nenne. Sie kommen in den Iran, reisen ein bisschen herum, stecken ihre Nase in alles, bauen ein paar Kontakte auf, über die sie dann zu privaten Partys eingeladen werden. Dort machen sie ein Bilder und reisen wieder ab, um dann letztendlich die Fotos ohne Rücksicht auf die Belange der Fotografierten zu veröffentlichen.
Zuletzt möchte ich noch auf einige interessante Vorfälle eingehen, welche sich im Zusammenhang mit dieser neuen Serie ereigneten. Beispielsweise gab es in deutschen Zeitungen einige Rezensionen und einer der in diesem Zusammenhang genannte Satz lautete: »Betrunkene Menschen im Land der Mullahs« Auch hier wurde mein Text wieder weg gelassen. Ich glaube, dass die Bilder viel stärker wirken, wenn man die Gesichter bedeckt, man achtet mehr auf das Umfeld und die Kleidung.
Ich habe fest gestellt, dass das was ich tue keinen Sinn mehr macht, es ist bereits in einer eigenen Subkultur und Kontext verwurzelt. Es ist völlig falsch zu verallgemeinern und das als Referenz für den Zustand unserer schnelllebigen Gesellschaft zu nehmen. Wenn man bei Facebook schaut, sieht man jede Menge solcher Bilder – überall, die Leute achten nicht mehr so genau darauf. Es könnte jeder überall sein, ob in Los Angeles, Paris oder Teheran – jede moderne Iranische Gesellschaft sieht mehr oder weniger so aus.
In den letzten zwei Jahren habe ich Sound dazu aufgenommen, denn es waren genug Bilder entstanden, es wurde Zeit an der Multimediaversion zu arbeiten. In Zusammenarbeit mit Spieledesignern und Tonkünstlern, sowie professionellen Schauspielern habe ich ein Abenteuerspiel gestaltet, das auf meinen Bildern basiert. Man kann durch klicken, auf Entdeckungstour gehen. Ich habe es an Situationen aus dem Leben angelehnt: man trifft jemand, der einen dann mitnimmt, man trifft sich in einem Café, bei einer Party oder einem Konzert. Das Ganze heißt Tehran remixed. Aber immer noch habe ich starke Zweifel bei dem Projekt, da ich nicht weiß, was passieren wird. Denn so wie die Bilder heute behandelt werden, ist der ganze Spaß dahin. Sie werden in einem sehr politischen, äusserst oberflächlichen, schwarzweißen Kontext gebracht, man interpretiert sie unter solchen Begriffen wie Hidschab, Islam, Schleier, usw.
Ich muss noch sagen, dass ich als Schriftsteller und Poet angefangen habe. Das gibt mir Motivation und Gelegenheit, Geschichten zu erzählen. Diese Multimedia Arbeiten werden separat verlinkt werden unter dem Gesamtprojekt Tehran remixed.