Symposium 2009
Vision – Aussicht aufs Leben

Claudia Zanfi

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Claudia Zanfi

Zwischen dem Grün und dem Grau – Eine Exkursion zu Bill Owens Bildern der amerikanischen Vorstadt und dem Green Island Eco Project

Um mich kurz vorzustellen: Ich bin keine Fotografin, sondern eine Kunstkritikerin und Kuratorin, die an ›trans-disziplinären‹ Projekten interessiert ist. Besonders die Fotografie und alle mit ihr verbundenen Formen der Vision stehen dabei im Mittelpunkt. Als ich zu diesem Vortrag eingeladen wurde, hatte ich eine spezielle Vorstellung. Allgemein möchte ich über zwei verschiedene Farben sprechen. Beide bilden auf ihre Weise zwei sehr wichtige Ausgangspunkte für die Fotografie. Außerdem hängen sie mit zwei Projekten zusammen, welche ich seit zehn Jahren fördere. Eines davon trägt den Titel Grüne Inseln und hat mit der Vision von zeitgenössischen Städten zu tun. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der Idee und Notwendigkeit von städtischen Grünflächen und ihrer Nachhaltigkeit in unserem Alltag.

Das zweite vorgestellte Projekt Suburbia ist ein fantastisches, fotografisches Pionierprojekt des amerikanischen Fotografen Bill Owens, der einer der bekanntesten Künstler seiner Generation ist und sehr einflussreich für die Fotografen in der Tradition der sozialen Dokumentation. Martin Parr beispielsweise ließ sich am Beginn seiner Karriere von Bill Owens Bildern beeinflussen. Seine Arbeit beschäftigt sich mit dem Entstehen und Wachstum der riesigen Peripherien, im wesentlichen um San Francisco: Die im architektonischen und städteplanerischen Sprachgebrauch so genannten ›Levit-Towns‹ leiten sich von dem Architekten Levitt ab, der den Typ des Sackgassen-Stadtviertels gestaltete, die eine Form der ›gated cities‹ darstellen. Suburbia ein 1972 gestartetes Fotografieprojekt in Schwarz-Weiß, das nun auch zu einem interessanten Kurzfilm verarbeitet wurde.

Das Projekt Grüne Inseln – Green Island Eco Project

Über die letzten sieben Jahre von 2003 bis 2009 war ich an einem kleinen und mittlerweile sehr wichtigen Projekt beteiligt. Es geht um die Transformation bzw. Konvertierung eines heruntergekommenen Viertels hinter dem Garibaldi-Bahnhof in Mailand zu einem lebenswerteren Umfeld für seine Bewohner. Der übergeordnete Grundentwurf zielt – dank des Grüne-Inseln-Projektes – auf die Aufwertung des öffentlichen Raumes und seiner Nutzung. Das Projekt hat die kulturelle Reflexion über die Formen des zeitgenössischen Lebens befördert, angeregt durch den Dialog von Fotografie, Architektur und Design.

Es zeigt den Bedarf, weitere urbane Räume wie öffentlicher Raum und Grünflächen als dringliche Angelegenheiten in die Überlegungen mit einzubeziehen. Im Grüne-Inseln-Projekt dienen die beteiligten Fotografen, Architekten und Designer auch als Augenzeugen für die verschiedenen Elemente einer Stadt und heben jeweils verschiedene Aspekte, Plätze und Visionen hervor, die uns jenseits der üblichen Sehgewohnheiten präsentiert werden und uns die Tiefe und Schichten einer Stadt ansonsten leicht übersehen lassen.

Andrea Branzi, der bedeutende italienische Architekt und ›Theoretiker‹ für urbane Grünflächen erklärt: Grünflächen und Entwicklungsgebiete sowie die Stadt selbst werden nicht länger als starrer Raum aus Serien gebauter Kuben gesehen, sondern vielmehr als fließender Raum. Das Konzept des ›flüssigen Zustandes‹ nach Zygmunt Baumann – kontinuierlich durchkreuzt von einer Unzahl verschiedener Strömungen (microscopic urban dust from Marc Augé ) – stellen diese Areale und Grünen Inseln als Orte tiefgreifender Veränderungen heraus. Das Projekt steht auch in Relation zu einem anderen zeitgenössischen Denker, dem französischen Landschaftsarchitekten Gilles Clément. Die folgenden Notizen sind aus seiner Arbeit Dritte Landschaft, die sich mit einer neuen Natur in urbaner Landschaft auseinandersetzt.

Diese ›Dritte Landschaft‹ definiert das Ensemble aus verlassenen Räumen, welche jene Zentren der Biodiversität ausmachen. Sie beinhaltet sowohl die städtische Ödnis entlang der Straßen und Felder als auch die Randgebiete der natürlichen Flächen und der Naturschutzgebiete. Es ist der Raum der Unentschlossenheit und Freiheit in Anbetracht dessen die ›Dritte Landschaft‹ als eine biologische Notwendigkeit gesehen werden kann, die die Zukunft aller lebenden Dinge formt, unser Verständnis von Flächen verändert und den Raum aufwertet, der meist übersehen wird. Für uns war es sehr wichtig, mit dieser Idee zu starten und das Konzept von Grenzgebieten zu entwickeln. Es sind nicht nur die großen Gebäude und gestalteten Grünflächen von Designern und Architektur-Stars von Bedeutung, sondern auch was nach dem Begriff von Gilles Clément grenzwertig ist. Was wir von einer Stadt sehen – die Vision einer Stadt – bezieht sich nicht nur auf große Architekten und deren Gebäude oder bedeutende Anlagen und Parks, sondern auch auf die Grenz- und Randbereiche. Catherine David, Gilles Clément, Andrea Branzi und Manuel Gausa haben als Theoretiker an dem Buch über die grünen Inseln mitgewirkt.

Die Stadt musste wie ein Mikrokosmos von Strömen und Beziehungen untersucht werden. Das Atelier Le Balto aus Berlin ist ein Künstlerduo und arbeitet hauptsächlich an der Neudefinierung von öffentlichem Raum unter Berücksichtigung der vorhandenen Materialien und Pflanzen an diesen Orten. Da sind wir auch gleich beim Kern des Konzeptes von wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit und gelebter Biodiversität. Sie entwickelten ein Projekt im Zentrum von Berlin nahe der ›Kunst-Werke‹ in der Auguststraße mit folgendem Grundkonzept: Jede Grünfläche, egal ob nicht gestaltet oder verlassen, kann ein Garten sein. Ein nützliches Stück Land für die Natur, das damit auch die Biodiversität schützt. Das Atelier Le Balto wurde beauftragt, jenes verlassene Stück Land zu einem Garten umzugestalten. Sie fragten sich jedoch: Warum einen Garten gestalten? Der ›Garten‹ ist schon da. Ihre Aufgabe war es vielmehr, einen Raum für Reflexion zu gestalten. Zu diesem Zweck entwarfen sie eine Holzplattform, die sich in den bestehenden Garten einfügte – ganz im Sinne des Grundgedankens von Green Islands.

Die Community Gardens in New York sind eines der ersten Projekte aus den 70ern, die eine Beziehung zwischen Kunst und Grünflächen herstellten. Die Orte sind immer noch mitten in Manhattan erhalten und verorten sich zwischen Natur und Gemeinschaft, anonymen städtischen Grünflächen und leerstehenden Parzellen.

Lois und Franziska Weinberger aus Wien sind international bekannte Künstler aus den 70ern, die die Debatte um Kunst und Natur stark beeinflussten. Eines ihrer Projekte ist der mobile Garten. Sie nutzen die assoziativen und poetischen Qualitäten von so simplen Materialien wie Müll- und Einkaufstüten, gefüllt mit Erde und Nutzpflanzen. Es werden billige Materialien mit der Assoziation von Armut und Klassenpolitik eingesetzt, ebenso aber auch Migration oder die derzeitige Bedeutung von sozialer Mobilität.

Die Projekte werden dem jeweiligen Ort angepasst und es werden dabei lokale Produkte verwendet – ganz im Gegensatz zum gegenwärtigen Trend der Globalisierung. Man kann diese Taschen mitnehmen und überall in der Stadt herumtragen, eine andere Person kann sie ebenso wieder weiter transportieren oder auf den Balkon stellen. Das ist ein sehr stringentes Konzept von Mobilität und Transformation einer Stadt durch einen alltäglichen Vorgang.

Die Fotoserie Suburbia von Bill Owens

Er ist einer der wichtigsten Bildautoren auf dem Gebiet der Stadtfotografie und ihrer Peripherien. Seit über zehn Jahren arbeite ich mit ihm zusammen, kuratiere sein Fotoarchiv und versuche, so gut wie möglich sein Werk durch Vorträge und hauptsächlich Ausstellungen bekannt zu machen.

Seine Arbeiten beschäftigen sich stark mit Amerikas Mittelschicht in den 70ern – selbst beeinflusst durch das Farm Security Project, Dorothea Lange, Diane Arbus, Walker Evans und Weegee. Infolge der Immigration an der Westküste der USA fand ein beschleunigter Prozess der Urbanisierung statt: aus den Stadtzentren in die Peripherie – mit vorgefertigten Häusern, Doppelgaragen und kleinen Swimming Pools. Hauptsächlich ging es um San Francisco und die neuen gated cities: eingezäunte und abgeschlossene Vorortgemeinden.

Die Arbeit Suburbia spiegelt den soziologischen Ansatz, den sich Bill Owens immer erhalten wollte: Bis heute, wo er seine Serie mit New Suburbia fortsetzt und zu den meisten Häusern von damals zurückkehrte und den Wandel der Gesellschaft dokumentiert. So entsteht aus dem Werk von Bill Owens ein Bild des soziologischen Wandels der nordamerikanischen Gesellschaft über die letzten 35 Jahre.

Er startete ursprünglich in den 60ern mit der Dokumentation der Unruhen an der Universität von San Francisco, der sogenannten Studenten-Revolution. Von 1968 bis 2008 dokumentierte er mit seinem besonderen Blick die amerikanische Gesellschaft in verschiedenen Serien: Das spielende Amerika in Leisure und ein Fresko des arbeitenden Teils der Gesellschaft mit Work. Die neuere Arbeit Colour ist ein Wechsel von der ursprünglich überwiegenden Schwarz-Weiß-Fotografie zur Farbfotografie, die er nun auch in der neuen Serie von New Suburbia einsetzt.

Bill Owens hat sich dennoch immer diese ironische Sicht bewahrt, mit der er von Anfang an die Amerikaner aus seinem speziellen Blickwinkel abgebildet hat. Er hat eben diese Grenzbereiche der amerikanischen Gesellschaft beschrieben, die üblicherweise von Fotografen eher nicht gezeigt werden. Seine Untersuchungen zielen weniger auf formalästhetische Elemente ab – er befasst sich mehr mit einer ›visuellen Anthropologie‹.

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