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We are the 99 Percent

»Wir machen viele Überstunden für wenig Geld und ohne Rechte – wenn wir überhaupt Arbeit haben. Wir bekommen nichts, während 1 Prozent der Bevölkerung alles bekommt. Wir sind die 99 Prozent.« (wearethe99percent.tumblr.com)

»Zeig uns wer du bist! Mach ein Bild von dir mit einem Schild, das deine Situation beschreibt. Bring deine Empörung zum Ausdruck […]«

Diese Aufforderung auf dem Tumblr-Blog wearethe99percent.tumblr.com veranlasste weit über Tausend Amerikaner seit dem 23. August 2011 ihren Missmut über die aktuelle Politik und Wirtschaftslage im Land zu verbildlichen und von ihren persönlichen Lebensumständen zu berichten. Das Ergebnis ist eine umfangreiche Sammlung an Geschichten frustrierter Bürger, die zumeist einer verunsicherten Mittelschicht angehören. Ihre Schilderungen reichen von krankheitsbedingten Einzelschicksalen, über den Verlust von Arbeitsplatz und Wohnung, bis hin zu Perspektivlosigkeit und Chancenlosigkeit durch zu hohe Ausbildungsdarlehen.

Hintergrund ist die Widerstandsbewegung Occupy Wall Street, die im Internet ihren Ursprung fand und sich seit dem 17. September 2011 von einem Platz im Finanzdistrikt der Wall Street in New York City über Amerika bis in viele Großstädte der Welt in Form von Demonstrationen und Protestaktionen ausweitete. Sie entsteigt der immer größer werdenden Kluft zwischen Arm und Reich, verschärft durch die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise und richtet sich gegen die ungleiche Verteilung von politischer und wirtschaftlicher Macht auf eine kleine Minderheit von 1%, der 99% der Bevölkerung gegenüberstehen. Im Zentrum der Kritik befinden sich die Banken und das Finanzsystem. Eine klare programmatische Forderung gibt es jedoch nicht. Die hauptsächlich jungen Demonstranten verlangen eine stärkere Besteuerung der Banken, aber auch den Ausbau sozialer Versorgungssysteme, einen besseren Schutz der Umwelt oder die Abschaffung der Todesstrafe. Sie alle eint jedoch das Motto »We are the 99 Percent« und ihre Unzufriedenheit mit der Politikführung. »Wir haben unterschiedliche Meinungen und Ansichten, wir sind in keinem herkömmlichen politischen Schema zu verorten, wir sind weder rechts noch links, noch öko oder liberal. WIR SIND EMPÖRT! Wir sind empört über die Entwicklungen in unserer Gesellschaft und Wir erkennen die Notwendigkeit diese Empörung kund zu tun«, heißt es auf der deutschen Entsprechung des Blogs.

Bemerkenswert ist nun auch die Art und Weise der Meinungsäußerung. Auf einer Fotografie ist jeweils eine Person zu sehen, die ein Schild oder ein Blatt Papier mit der eigenen Geschichte und der Aussage »I’m the 99%« in die Kamera hält. Portrait und Text verdichten sich zu einem unumstößlichen Statement, indem die journalistische Darstellungsform von getrenntem Bild und Text oder erläuternder Bildunterschrift durchbrochen wird und sich in einer komprimierten Fotografie auflöst. Alle Elemente der Aussage sind darin bereits vereint und untrennbar miteinander verbunden. Die Präsentations- und Publikationsart des Internetblogs ermöglicht dabei einer breiten Masse an Menschen in weiten Teilen der Erde Zugang und Zugriff auf das Portal und unterstützt damit eine neue Form der Autorenschaft und Informationsvermittlung. Es handelt sich nicht um eine klassische Reportage, denn hier wird nicht von außen über jemanden oder etwas berichtet. Hier agiert das Subjekt selbst. Es sind der Arbeiter, die alleinerziehende Mutter und der Student, die als Autoren auftreten.

Jeder schildert aus persönlicher Sicht sein ganz eigenes Schicksal. In der Gesamtheit schafft dies jedoch einen konsequenten Einblick in allgemeingültige Themen und gibt Auskunft über aktuelles Zeitgeschehen und die Grundstimmung einer Gesellschaft. Die Menschen selbst schaffen und übermitteln das Bild ihrer Gesellschaft und geben im Internet der 99%-Bewegung weltweit ein Gesicht.