Julian Röder

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Julian Röder

The Summits

Der berühmte Satz von Albert Camus: »Um zu sein, muß der Mensch revoltieren«, klingt heute wie aus einer erinnerungsfernen, längst vergessenen Zeit. Seine Wahrheit ist im Sog der falschen Revolten untergegangen und kann darum nun wohlfeil desavouiert werden.

Julian Röder, so will es scheinen, hat sich daran gemacht, etwas von dieser Wahrheit wieder freizulegen. Seit einigen Jahren fotografiert er Protestaktionen von Globalisierungskritikern am Rande der Sicherheitszonen gegen die Gipfeltreffen der EU und G8 Staaten. 2001, in Genua, war er selbst noch unter den Demonstranten und hatte sich mit Freunden im Gepäckwagen in die abgesperrte Stadt geschlichen. Später reiste Julian Röder mit seiner Kamera im Eigenauftrag an die Orte des Geschehens. Dass er dabei nicht als Agenturfotograf unterwegs ist, hält seinen Blick frei und erlaubt ihm differenziertere Bilder zu finden, als es die Terminarbeit für Medien im Allgemeinen zulässt.

Was so entsteht, sind Panoramen der Konfrontation, zumeist übersichtige manchmal auch detailreiche, nah gesehene Bilder, die nicht die direkte Gewalt zeigen, sondern ihr Potenzial. Das unmittelbare Davor oder Danach: das Atmosphärische der Gewalt, das uns im Bild bedrohlicher gegenübertritt als deren direkter Vollzug. Man hat diese Bilder mit Schlachtengemälden verglichen, das mag für ihre kompositorische Genauigkeit zutreffen, stimmt aber wohl nicht wirklich. Denn Schlachtengemälde werden aus der Position des Siegers gemalt oder viel seltener auch aus der Position des Verlierers. In der Potenzialität wie in der Realität dieser Auseinandersetzungen gibt es weder Sieger noch Verlierer. Oder man könnte auch sagen es gibt nur Verlierer, bei den Demonstranten wie den Polizisten. Die Stellvertreterkämpfe die sie führen – in hilfloser Wut die einen, unter Befehlsdruck die anderen – sichern die Geschäfte der Macht. In Genua beschloss man einen Fonds gegen den Hunger, aber vor allen war man sich darin einig, dass die weitere Liberalisierung des Welthandels und damit auch der Finanzgeschäfte die wirksamste Waffe im Kampf gegen die Armut sei.

Die Armut in der Welt hat seither in unvorstellbaren Maße zugenommen. Nein, Schlachtenbilder im kunsthistorischen Sinne sind das nicht. Auch wenn es Julian Röder – denken wir ruhig an die alten Meister Altdorfer und Uccello – gut versteht konfrontative Situationen von Menschenmassen, ihre Zusammenballung und ihr Auseinanderbersten in eindringliche Bilder zu gießen. Was Röder zeigt, ist nicht die Verdichtung eines geschichtlichen Geschehens, es ist unmittelbare Gegenwart. Aber gerade weil er sich auf subtile Weise oftmals kunst- und allgemeiner gesagt, bildgeschichtlicher Topoi bedient, haben diese Fotografien bei allem Wirklichkeitsbezug eine tiefere Intensität und Dauerhaftigkeit als der Fünfzehn-Sekunden-Take aus der Tagesschau. Denn Bilder sind ja immer auch Bilder über Bilder. Wir haben sie, mehr oder weniger bewusst, in der Erinnerung und gleichen das, was vorgibt die Wirklichkeit zu sein, fortwährend mit ihnen ab. Was uns dabei fasziniert ist jedoch nicht eine mögliche Übereinstimmung, sondern das Hinzugekommene. Schließlich tut jedes authentische Bild den erinnerten etwas hinzu und diese Differenz kann uns in den Bann schlagen.

Ich weiß, dass der Begriff Authentizität in Verruf geraten ist, will aber nicht von ihm lassen. Auch wenn das ganz und gar authentische Bild für immer eine Fiktion bleibt, gibt es unterschiedliche Strategien der Annäherung. Die von Julian Röder besteht vor allen in der unmittelbaren Anteilnahme und in der Aufmerksamkeit für Details, die manchmal auch anrührend und komisch sind. Wie der Vermummte, der in Genua ratlos den Stadtplan studiert oder das Bild von dem Pärchen das sich in Heiligendamm in eine Plastikplane zum schlafen auf eine Wiese gelegt und die feuchten Socken sinnigerweise auf einen Stapel Europaletten zum trocknen ausgebreitet hat. Drama und Satyrspiel, Röder zeigt beides, wie in der antiken Tragödie.

(gekürzte Fassung einer Rede von Matthias Flügge)