Nadav Kander

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Nadav Kander

Yangtze – The Long River

Der 1961 in Israel geborene Fotograf Nadav Kander wuchs in Südafrika auf, doch schon bald zog er nach London: ein Leben, das früh durch den Blick auf andere Länder geprägt wurde. Kander fotografierte für die wichtigsten englischen Zeitungen und Magazine, mit seiner Serie Obama’s People wurde er international bekannt. Vor kurzem ist sein Fotobuch Yangtze – The Long River erschienen. Die in China fotografierte Bildfolge Yangtze – The Long River ist eine fotografische Arbeit, die sich den gewaltigen Veränderungen behutsam nähert. Der Brutalität des Faktischen setzt Kander eine poetische Bildsprache entgegen. Ein diffuser Schleier liegt über diesen Bildern, ein leichter Nebel, der die Grausamkeiten zwar nicht verdeckt, doch etwas mildert. Still sind diese Fotografien, die zeigen, wie die Menschen mit den Veränderungen ihres Lebensraumes umgehen. ›Elegisch‹ kann man sie nennen, denn die Serie ist ein Abgesang auf das China der Vergangenheit, das mit der Inbetriebnahme des Drei-Schluchten-Damms am Jangtsekiang in eine neue Ära der Modernisierung tritt. China springt mit großen Schritten in eine neue Zeit, doch Kander zeigt die Momente dazwischen: ruhende Bauarbeiten, Menschen, die beisammen sitzen, am Ufer stehen, auf den Fluss blicken, auf die einstige Lebensader Chinas.

Wir sehen Bilder des Umbruchs, welche die Menschen in ihrer Winzigkeit vor Augen führen. Diese sind nicht Akteure der Handlung, sondern stumme Zuschauer, die vor der Monumentalität der neuen Bauten erstarren. Kein Land auf der Erde wirft sich mit solcher Schnelligkeit in eine neue Zeit, lässt das Alte so rigoros hinter sich.

Yangtze – The Long River ist eine Serie über den größten Fluss Asiens, über seinen Verlauf von der Mündung bis zu der Quelle im Himalaja, aber noch mehr über die Menschen in dieser Landschaft. Noch gibt es Reste der Vergangenheit, archaische Hausboote etwa, doch auch diese wird es bald nicht mehr geben. Neue Wohnblocks entstehen in austauschbarer internationaler Architektur. Sie werden keine Heimat bieten.

Kander legt in seinen von 2005 bis 2007 entstandenen Bildern die Absurdität bloß, mit welcher sich der Mensch selbst seiner Vergangenheit beraubt – und die Fotografie dient ihm als zwingendes Beweismittel. Bizarre Momente – etwa das Picknick unter Brückenpfeilern – lassen nur für wenige Sekunden schmunzeln. »Warum müssen wir unsere Kultur zerstören, um uns zu entwickeln«, so hat ein Arbeiter des Bauprojekts die Entwicklung kommentiert. Kein Sonnenstrahl erhellt diese sonderbar farblosen Szenen aus Baukränen, Schlamm, Wasser und Beton: Fotografien, die – trotz allem – auch Ruhe und verzauberte Schönheit ausstrahlen. Dazwischen, immer wieder: Menschen, in ihrer Kleinheit, in ihrer Hilflosigkeit angesichts der rücksichtslosen Entwicklung, die sie im Tiefsten erschüttern muss.

(Marc Peschke)