Symposium 2012
Bildspuren – Unruhige Gegenwarten

Betty Fink

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Betty Fink

Ostkreuz, Agentur im stetigen Wandel

Wenn man Ostkreuz ganz kurz umschreiben will, kann man sagen, die Agentur ist ein Forum für Fotografie. Sie ist eine geschäftliche Verbindung und sie gehört den Fotografen! Die Agentur hält den Fotografen den Rücken frei, sie kümmert sich um die Abwicklung derGeschäfte, bündelt und bearbeitet die eingehenden Anfragen der Magazine, Institutionen, Post von Sammlern, Anwälten, Fans. Die Agentur hält den Überblick, archiviert und verwertet die Fotografien ihrer Mitglieder.

Ostkreuz ist in einer Zeit des Umbruchs gegründet worden. Im Herbst 1990 taten sich sieben Männer und Frauen zusammen, um eine Agentur der Fotografen zu gründen, sie gehörten zu den berühmtesten Fotografen der DDR. Es waren Sybille Bergemann, Werner Mahler, Ute Mahler, Jens Rötzsch, Harald Hauswald, Gerhard Zimmermann und Thomas Sandberg. Gemeinsam wollten sie vom Osten aus in alle Richtungen aufbrechen. So benannten sie sich nach der Berliner SBahn-Station, die den Osten mit dem Rest der Stadt verbindet: die Station Ostkreuz. Schon vor der Wende saß man zusammen bei Arno Fischer und Sybille Bergemann auf dem legendären Sofa am Schiffbauerdamm. Da sprach man über Fotografie, teilweise auch mit den berühmtesten Fotografen der Zeit, z.B. Henri Cartier Bresson, Robert Frank und Helmut Newton. Sie alle verband in erster Linie ihre Leidenschaft für die Fotografie und dass sie einfach etwas zeigen wollten. Natürlich wurden diese Fotografen von dem Leben und der politischen Situation in der DDR stark geprägt und heute sind ihre Arbeiten teilweise zu Ikonen für diesen Umbruch geworden. Da sie in diesem Land gelebt haben, hat ihre Herangehensweise heute einen ganz anderen politischen Aspekt als damals. Zum Beispiel wurde Sybille Bergemann mal im Interview gefragt, was sich denn nach der Wende für sie geändert hätte, und sie sagte dann in ihrem typischen wortkargen kurzen Antwortsatz: »Nüscht hat sich geändert. Ich fotografiere nach wie vor, was mich interessiert.« Einige ihrer Fotografien gehören heute zu den berühmtesten Arbeiten, die für den Umbruch und den Niedergang der DDR stehen. Es wurde sehr viel Alltagskultur und -leben fotografiert. Dazu zählen Werke der Serie Berka von Werner Mahler oder Zusammen leben von Ute Mahler.

Ostkreuz ist heute die erfolgreichste von Fotografen geführte Agentur Deutschlands. Mittlerweile haben wir 18 Fotografen. Sie kommen aus allen Teilen Deutschlands, teilweise auch aus anderen Ländern. Der jüngste ist Anfang 30 und die ältesten sind Anfang 60. Jeder von ihnen sieht die Welt mit anderen Augen, jeden interessiert etwas anderes in ihr. Die Agentur wurde nach dem Vorbild von Magnum gegründet, das bedeutet, dass die neuen Mitglieder von den Fotografen eingewählt werden. Hierbei sind die wichtigsten Kriterien die Balance zwischen freier Arbeit und Auftragsarbeit und natürlich das Persönliche. Nach zwei bis drei Jahren gibt es eine große, sehr ernstzunehmende Aufnahmeprüfung. Zuvor hat man erst mal eine Juniormitgliedschaft.

Was ist das Prinzip unserer Agentur? Hier wird immer gerne von Autorenfotografie gesprochen, das heißt, eigene Haltung, eigene Gedanken, eigene Schwerpunkte, eigene Weltsicht in Fotografie umsetzen. Wichtig dafür ist ein grundsätzliches Interesse an der Welt und was passiert. Bei Ostkreuz geht es nicht darum, sich dem Wandel der Zeit unterzuordnen, sondern ihn mitzugestalten und dabei eigene Ideen weiterzuentwickeln. Ein Journalist hat mal geschrieben: »Ostkreuz ist eine Herangehensweise.« Es bedeutet Herangehen an die Wirklichkeit und eine Haltung zu entwickeln. Bei Ostkreuz geht es nicht darum, sich dem Wandel der Zeit unterzuordnen, sondern ihn mitzugestalten und dabei eigene Ideen weiterzuentwickeln.

Wie kommen wir an die Aufträge ran? Natürlich sorgt das Renommee der Fotografen für deren gute Auftragslage. Sie haben sich so in ihren Themen bewährt, werden natürlich auch von den Redaktionen und potenziellen Auftraggebern beobachtet und haben sich dadurch einen festen Kundenstamm aufgebaut. Das sind neben gängigen Qualitätsmagazinen auch Werbeagenturen, Theater, Stiftungen usw. Die Wahl für einen bestimmten Ostkreuz-Fotografen liegt häufig an seinem Interessensgebiet. Natürlich ist jemand wie Julian Röder, der sich mit Protest und Jugendkultur von Anfang an auseinandergesetzt hat, dadurch aufgefallen und wird dementsprechend auch für Aufträge eingesetzt, die diesem Thema nahe sind. Jemand wie Maurice Weiss, der sehr viel arbeitet, macht teilweise drei Aufträge an einem Tag. Er hat sich im Bereich des politischen Portraits so einen angesehenen Platz geschaffen, dass er jetzt beim Spiegel auch schon als Berater für das politische Bild mit in der Redaktionskonferenz sitzt. Bei Maurice ist es sogar so, dass Frau Merkel ihn persönlich begrüßt und seinen Namen kennt. Noch ein Beispiel ist Harald Hauswald, der zu Ostzeiten schon Fußballfans und Hooligans fotografiert hat und nun ca. 20 oder 30 Jahre später wieder so einen Auftrag von einem französischen Sportmagazin bekommt. David Meckel macht mittlerweile viele Geschäftsberichte und Werbung, was sehr lukrativ ist. Manchmal kommen auch kleinere Aufträge in der Agentur an. Dann rufen uns die Redaktionen oder Werbeagenturen an und wir müssen entscheiden, wer für den Auftrag in Frage kommt. Wir wählen dann den Besten für das jeweilige Thema aus. Die Magazine mit denen wir besonders häufig zusammenarbeiten sind das Zeit Magazin, Dummy, Neon, GEO, Stern, das SZMagazin usw. Die Agentur hat umgekehrt auch die Aufgabe Fotografen an Magazine zu vermitteln. Wenn wir wissen, dass GEO ein bestimmtes Thema plant und einer unser Fotografen dazu passt, schlagen wir seine Arbeit vor. Wir sind die Schnittstelle zwischen Magazin und Fotograf. Wenn dann ein Angebot in einem Magazin veröffentlicht wird, schlägt das oft sehr weite Kreise. Bei Julian Röders Waffenmesse z.B. haben danach einige internationale Magazine angerufen. In einem spanischen und einem amerikanischen Magazin wurde sie dann auch veröffentlicht. Einen kleinen Teil unserer Umsätze machen wir auch mit Kunstverkäufen. Es kommt vor, dass Interessenten ein Bild in einer Ausstellung sehen und uns dann anrufen. Es ist nicht so alltäglich wie in großen Galerien, aber zum Teil rufen auch berühmte Sammler bei uns an und wollen Bilder von unseren Fotografen. Dazu zählen z.B. Gundlach, die Deutsche Börse oder das MOMA. Wenn das Bild über Ostkreuz angefragt und verkauft wird, dann kümmern wir uns darum. Ansonsten machen das die Fotografen oft selbst mit ihren Galeristen.

Neben dem Geldverdienen gehören Ausstellungen und Buchprojekte zu unseren Grundpfeilern. Wir haben uns auferlegt, alle paar Jahre mit einer großen Gruppenausstellung in die Öffentlichkeit gehen. Wir überlegen gemeinsam ein passendes Thema, mit dem wir uns gerade auseinandersetzen können und was gerade politisch und gesellschaftlich relevant ist. So entstand z.B. unsere Ausstellung Die Stadt – Vom Werden und Vergehen. Die Ausstellung war bei C/O Berlin zu sehen und sehr erfolgreich. Nachdem wir ein Buch dazu publiziert hatten, reiste die Ausstellung um die ganze Welt. Gerade ist sie in Ramallah und danach geht sie mit dem Goethe-Institut nach Tel Aviv. Eine weitere Ausstellung gab es zum Thema 20 Jahre Mauerfall. Sie wurde im Haus der Kulturen gezeigt und war eine der erfolgreichsten und besucherreichsten Ausstellungen, die das Haus je hatte. Eines unserer Buchprojekte nannte sich 24 Stunden Berlin. Ursprünglich ist es das Projekt einer großen Berliner Filmproduktionsfirma gewesen. Die haben an einem Tag, 24 Stunden lang, viele Kamerateams durch Berlin geschickt und verschiedene Aspekte der Stadt beleuchtet. Später erschien der Film, der tatsächlich 24 Stunden lang ist. Die Firma hatte uns angefragt, ob wir Interesse hätten, fotografisch mitzuwirken und anschließend einen Katalog dazu zu publizieren. Wir stellten fest, dass das Thema mit 18 Fotografen nicht abgedeckt werden kann und involvierten 20 weitere befreundete Fotografen. Wir versuchten die Stadt fotografisch in 24 Stunden zu beleuchten und publizierten 2009 die Ergebnisse in einem Buch. Weiterhin erschienen bei Ostkreuz zahlreiche persönliche Buchprojekte einzelner Fotografen zu ihren jeweiligen Themen.

Zusammenfassend kann ich sagen, Ostkreuz ist eine Gruppe von Individualisten, denen es um Qualität und Professionalität geht. Ostkreuz ist ein Prinzip, eine Herangehensweise, ein Auftrag mit ganz viel Arbeit. Für uns »Ostkreuzler« bedeutet Ostkreuz aber vor allem auch Gemeinschaft. Und das ist meiner Meinung nach ein ganz wichtiger Punkt in Bezug auf das Thema Unruhige Gegenwart und wie man da bestehen kann. Ich bin der Überzeugung, dass sich die Fotografen in der Gruppe gegenseitig motivieren, indem sie sich ihre Arbeiten zeigen und darüber sprechen. Wenn einer ein tolles neues freies Thema macht oder großen Erfolg mit einem Werk erfährt, dann gibt es bei uns keinen Neid, sondern es wirkt positiv ansteckend. Das Geheimnis unserer Agentur ist einfach, dass die Fotografen gut zusammenpassen und ein sehr inniges Interesse haben für ihre Themen. Zudem haben wir uns stark den jungen Fotografen zugewandt. Über die Hälfte der Mitglieder ist unter 40, viele sind auch erst Anfang 30. Sie kamen direkt nach dem Studium zu uns und hatten dadurch einen sehr guten Start in die Redaktionen. Der Name Ostkreuz färbte positiv auf sie ab und andersherum profitiert die Agentur von den sehr guten Arbeiten.