Unruhe verändert. Unruhe in der Gegenwart bedeutet zunächst Finanz- und Wirtschaftskrisen, Armut, Hunger, Kriege und Klimawandel. Letzterer zeigt sich durch die Zunahme der Treibhausgase, von gewaltigen Stürmen, steigendem Meeresspiegel, Hitzewellen und Dürreperioden. Zudem werden die Ressourcen knapp. Heute verbraucht die Menschheit jährlich anderthalb Mal so viele Ressourcen wie die Erde dauerhaft zur Verfügung stellen kann. Der Glaube, die Technologie könnte alles richten, ist naiv. Auch grüne Technologien benötigen Ressourcen und Energie. Es wird zunehmend deutlich, wie man es auch dreht und wendet: Ein »Weiter so!" ist nicht mehr akzeptabel. Unruhe herrscht in nahezu jedem gesellschaftlichen Bereich; weil kaum noch etwas funktioniert wie gewohnt. Sogar der erfolgreiche Kapitalismus ist in eine Krise geraten, und unsere Demokratie knickt vor den Banken ein.
Doch es gibt auch eine andere Form der Unruhe. Es ist eine Unruhe, die verändert und Neues entstehen lässt. Eine Unruhe, die dringend notwendig ist und in der Zivilgesellschaft mehr und mehr zur Ausbreitung der Erkenntnis führt, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann und dass in einer auf Wachstum fixierten Gesellschaft kein gutes und gerechtes Leben möglich ist. Wer den Weg in eine zukunftsfähige Gesellschaft gehen will, muss bereit sein für einen grundsätzlichen Wandel: in der Energieversorgung, im Verbrauch von Rohstoffen und ganz besonders im Hinblick auf die Lebensstile.
Zukunft passiert nicht einfach so, Zukunft bricht nicht über uns herein. Jeder ist durch sein heutiges Tun an der Zukunft beteiligt. Deshalb stellt FUTURZWEI in der grammatikalischen Zeitform die Frage: Wer möchte man – von einem zukünftigen Zeitpunkt aus betrachtet – heute gewesen sein? Die Stiftung FUTURZWEI wurde vom Darmstädter Unternehmerehepaar Paulmann gegründet und wird von dem Sozialpsychologen Harald Welzer geleitet. FUTURZWEI erzählt Geschichten des Gelingens von First Movern einer enkeltauglichen Zukunft und versteht sich als Promotions-Agentur einer sozialen Bewegung, die gerade entsteht und noch nicht weiß, wie stark sie wirklich ist. Zusammen mit diesen First Movern sagt FUTURZWEI: Es geht »anders als bisher« und »Wir fangen schon mal an«, denn es gibt bereits alternative Praktiken, diese müssen nur gefunden, erzählt, verbreitet und weiter ausgebaut werden.
Bevor man die FUTURZWEI-Internetseite betreten darf, muss man einen Schwur ablegen, mindestens eine der Geschichten, die einem danach begegnen werden, auch wirklich weiterzuerzählen. In den Geschichten des Gelingens sind es Menschen, die vorgeben, was wirklich zu tun ist. Sie können zu Vorbildern werden, weil sie es sind, die Initiative ergreifen und Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Dahinter steht die Überzeugung, dass die (Weiter-) Erzählung solcher vorbildhafter Taten zur Nachahmung anstiften kann. Alle FUTURZWEI Geschichten zeigen, dass Veränderung und ein guter Umgang mit der Welt nicht nur möglich ist, sondern auch mit einem Gewinn an Lebensqualität einhergehen kann. Zugegeben: Sie allein zetteln zwar noch keine Revolution an, bringen aber das große Ganze auf den Weg, indem sie im Kleinen Wege einer neuen Praxis erproben und nach Formeln für ein nachhaltiges Leben suchen. Sie wissen ihre eigenen Handlungsspielräume zu nutzen – ganz unabhängig davon, wie unterschiedlich groß die Ressourcen und Risiken sind. Kurz: Es sind Personen wie Sie und ich, nur tun diese Akteure nicht das Erwartbare, sondern das Unerwartbare im Rahmen ihrer jeweiligen Handlungsspielräume. Die Bewohner Zürichs sorgten dafür, dass Energiesparen und Verkehrsberuhigung in der Stadtordnung festgeschrieben wurden. Zwei Bauernsöhne gründeten eine Energiefirma, die bisher viele Dörfer und Gemeinden in die Energieautarkie begleitet hat. Eine Putzfrau in Mecklenburg-Vorpommern zeigt, dass Reinigungsmittel keine Chemie enthalten müssen, die die Umwelt belastet und Allergien erzeugt. In ihrer Küche experimentierte sie mit Roter Bete und verkauft nun ihr Putzmittel bundesweit. In Berlin wurde ein Nachtclub »geflashmobbt«, um mit den Einnahmen des Abends die Ökobilanz zu verbessern, indem das Geld für energiesparendes Equipment der Location verwendet wurde. Zwei junge Designerinnen reanimieren Altkleider und machen daraus coole neue Klamotten.
In unseren Geschichten gibt es keine Statistiken, keine CO2-Berechnungen, keine Ampeln, keine naturwissenschaftlichen Erklärungen und erst recht keinen Alarmismus (es ist 5 vor 12 usw.), sondern es geht um die Sichtbarmachung einer gelebten nachhaltigen Praxis, die meist gar keiner langen Vorlaufzeiten oder großer Apparate bedarf.
Harald Welzer betont immer wieder, dass Veränderung nicht vor dem Hintergrund von Katastrophenszenarien entsteht; sie benötigt ein positives Ziel – eine positive Unruhe, um beim Titel dieses Vortrags zu bleiben – und zwar eine, die mit der eigenen Identität und mit der Person, die man sein möchte, in Verbindung gebracht werden kann. FUTURZWEI erzählt deswegen keine katastrophischen Geschichten, sondern Geschichten von den Möglichkeiten eines gerechteren und qualitätsvolleren Lebens. FUTURZWEI erzählt Geschichten – oder anders gesagt: Best-Practice-Fälle –, die sich in der Familie, im Freundeskreis, auf der Arbeit oder wo auch immer nach- und weitererzählen lassen. FUTURZWEI sendet, besonders auch über ihre Medienkooperationen, jeweils eine Flaschenpost in die Gesellschaft und hofft auf Weiterverbreitung und Nachahmung einer anderen Praxis.
Die FUTURZWEI-Internet-Seite hat noch vieles andere zu bieten. Auch dort werden andere Formen der Nachhaltigkeitskommunikation erprobt. Zum Beispiel verliest der Moderator Christoph Süß Nachrichten aus der Wirklichkeit. Das sind Meldungen aus einem Paralleluniversum, welches dem unsrigen sehr ähnlich ist, nur eben nicht ganz so »bekloppt«. FUTURZWEI ist aber mehr als eine Internetplattform. FUTURZWEI kooperiert mit Medienpartnern wie 3sat Kulturzeit und dem Jugendmagazin von Gruner & Jahr Yuno, wo in Serie über FUTURZWEI-Akteure berichtet wird. Auf wissenschaftlicher Ebene wird an der Universität Flensburg ein Forschungsschwerpunkt »Transformationsdesign« entwickelt. Dort fungiert FUTURZWEI als Wissensbasis, aus der Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren von Projekten im Nachhaltigkeitsbereich identifiziert werden können. Es geht aber auch um Dimensionen von Ausbreitungsprozessen, neue Handlungsspielräume und -optionen.
Der FUTURZWEI Zukunftsalmanach 2013 macht den Anfang einer Buchreihe im S. Fischer Verlag. Ein redaktioneller Teil führt in neue politische, kulturelle und soziale Entwicklungen im Feld der Zukunftsfähigkeit ein. Der Hauptteil erzählt ausgewählte Geschichten von aktuellen, besonders innovativen, wirkungsvollen oder wegweisenden Projekten. Im Anschluss richtet sich jede Ausgabe des Almanach auf ein anderes besonderes Zukunftsfeld. Im ersten Jahr wird der Almanach den Schwerpunkt »Mobilität« haben und mit zahlreichen Infografiken, Querschnittsthemen und Glossar ausgestattet sein.
FAZIT: Auch eine unruhige Gegenwart kann positive Veränderungen hervorbringen. Dort, wo Zögerer und Zauderer bremsen, wollen wir diejenigen stärken, die mutig vorangehen und selbst handeln. FUTURZWEI wird weiterhin solche Macher des Wandels unterstützen, Geschichten über sie erzählen und sie auf ihrem Weg begleiten. Erzählen Sie das bitte weiter.