Zu den Serien Falter und Tower
Die in Berlin lebende Künstlerin Stefanie Seufert erforscht in ihren Werken die dem Medium Fotografie innewohnenden Eigenschaften. In teils objekthaften, teils abstrakten Bildern hinterfragt sie die Darstellbarkeit von Realität, die Rolle des Zufalls und die Authentizität in fotografischen Abbildungen. Dabei experimentiert sie mit verschiedenen Genres des Mediums. Beispielsweise nutzt sie das Sachliche der Architekturfotografie, um Formen und Gegenstände unseres Alltags auf ihre wesentlichen Elemente zu reduzieren. In anderen Arbeiten bedient sie sich der kameralosen Fotografie, um unter anderem dem Unvorhersehbaren des Fotografischen auf den Grund zu gehen.
Letzteres trifft auf die beiden ausgestellten Werkgruppen zu. Sowohl Falter als auch Tower sind mit dem Verfahren des Fotogramms entstanden. Diese kameralose Fototechnik wurde bereits um 1920 entwickelt. Künstler wie Man Ray, Christian Schad oder László Moholy-Nagy experimentierten dabei in der Dunkelkammer mit mehr oder weniger transparenten Objekten, die sie direkt auf ein lichtempfindliches Material (Fotofilm, Fotopapier) legten und dieses dann belichteten.
Stefanie Seufert verzichtet in ihren Fotogrammen nun gänzlich auf Gegenstände der realen Welt. Sie verwendet keine Objekte, sondern lässt das Fotopapier zum alleinigen Objekt werden.
Für die Arbeit Falter wird das Papier jeweils im Dunkeln zunächst gefaltet und anschließend in verschiedenen Wellenlängen belichtet. Diesen Vorgang führt sie pro Bild zwei Mal aus, so dass sich überlagernde Flächen unterschiedlicher Farbintensität entstehen. Die Faltungen treten durch hellere und dunklere Partien deutlich hervor und ergeben in den einzelnen Bildern eine sich scheinbar wiederholende Form. Erst wenn mehrere Arbeiten der Serie eng beieinander stehen, lassen sich die feinen, formalen Unterschiede und Eigenheiten im Vergleich erkennen.
Den klassischen, medienimmanenten Eigenschaften der Fotografie wird hier in zweierlei Hinsicht widersprochen. Zum einen spielt das menschliche Sehen bei der Entstehung dieser Werke keine vordergründige Rolle. Der Entstehungsprozess im Dunkeln unterbindet die Möglichkeit einer detaillierten visuellen Kontrolle. Fast intuitiv ergibt sich die Falzung auf dem Papier. Zum anderen wird der Bezug zur realen, gegenständlichen Welt auf ein Minimum – nämlich auf das lichtempfindliche Material und die Idee zu einer Form – reduziert. Das Objekt entsteht durch den fotografischen Prozess und ist vorher nicht existent.
Und dennoch sind es Fotografien, die entstehen – Bilder, durch Licht gezeichnet.
Noch stärker durchbricht die Künstlerin die Grenzen des Fotografischen in der Serie Tower. Nach dem Verfahren der mehrfachen Faltung und Belichtung eines Fotopapieres in der Dunkelkammer, ähnlich wie bei Falter, präsentieren sich die Werke hier skulptural im Raum. Das zweidimensionale Medium Fotografie wird zum raumgreifenden, dreidimensionalen Objekt. Die Assoziation mit neuen technischen Entwicklungen wie dem 3D-Druck liegt in diesem Zusammenhang nahe. Doch besteht der konkrete Bezug zum Dinghaften wieder allein in der Materialität und im Titel der Arbeit.
Wie also definieren wir das Fotografische? Was macht eine Fotografie zur Fotografie? Die Abgrenzung zu anderen Kunstformen wie Skulpturen oder Collagen sind in Seuferts Arbeiten fließend. Sie zeigen auf, dass nicht nur durch die Digitalisierung eine Neubetrachtung des Mediums Fotografie nötig wird. Auch zeitgenössische Erweiterungen analoger Verfahren weisen auf eine Verschiebung und ein Auffasern der Grenzen hin.
(Julia Mauga)