Rätselhafte dreidimensionale Bilder mit schrecklichem Inhalt – die Koreanerin Ayoung Kim zeigt in ihren Arbeiten wahrlich Düsteres. Oberflächlich betrachtet, wirkt jedes ihrer Motive wie eine naive Collage. Das Ausmaß des Gezeigten wird oft erst beim genauen Betrachten der Bilder deutlich. Denn was bei ihr zunächst ausgedacht erscheint, entpuppt sich als ein tatsächliches Ereignis, über das die Medien vorher ausführlich berichtet haben. Das Konzept von Ayoung Kims Serie Ephemeral Ephemera – was übersetzt so viel wie die Ansammlung flüchtiger Ereignisse bedeutet – entstand bei ihrer täglichen Zeitungslektüre von Londonpaper und Londonlite.
Die junge Koreanerin aus Seoul, studiert seit 2004 am London College of Communication Fotografie. In den Tageszeitungen verschlingt die politikinteressierte Studentin die verschiedensten Berichte zum Weltgeschehen. So liest sie, dass Nordkorea ankündigt, im Oktober 2006 einen Atomtest zu unternehmen, dass diese Ankündigung weltweit Besorgnis auslöst, dass Nordkorea dann am 9. Oktober 2006 einen erfolgreichen Atomwaffentest meldet und dass daraufhin der internationale Druck auf das abgeschottete Regime in Pjöngjang zunimmt.
Am 10. Oktober findet Ayoung Kim dann in der Online-Ausgabe der namhaften englischen Zeitung Guardian einen Kommentar von Simon Jenkins. Die Überschrift lautet: »Accept North Korea into the nuclear club or bomb it now« und bedeutet übersetzt: »Akzeptiert Nordkorea im Klub der Nuklearstaaten, oder bombardiert Nordkorea sofort«. Die Koreanerin entscheidet spontan, ihre Abschlussarbeit am College über Nachrichten, die ihr absurd erscheinen, zu fertigen. Für ihr erstes Motiv greift sie das Thema Atomwaffenversuche in Nordkorea auf, versieht es mit dem Titel des Kommentars, den sie darüber gelesen hat, und entwickelt ihre subjektive Umsetzung des Themas.
Dafür wählt sie eine Filmkulisse aus ihrem Bildarchiv, die sie in Korea fotografiert hat. Sie recherchiert in Internetarchiven und verwendet daraus die Fotos der Bomben und ein Propagandaplakat der nordkoreanischen Regierung. Die Rückenansicht des gehenden Manns, von dem man nicht weiß, ob er ankommt oder weggeht, fotografiert sie selbst. Aus den Fotos schneidet die Studentin dann Häuser, Personen und Gegenstände aus. Diese Bildelemente verwendet die Fotografin wie Objekte und ordnet sie auf ihrer Schreibtischplatte auf einem Grund aus kleinen weißen Steinchen an. Die Häuserfassaden lehnen an ihrer Kaffeetasse, das Plakat hängt an einem Faden und die Papierstützen an der Rückseite der Bomben halten diese aufrecht. Der Himmel entsteht aus einem schwarzen Foto im Hintergrund.
Aus den flachen zweidimensionalen Fotos baut Ayoung ein dreidimensionales Bühnenset: Um die richtige Bühnenausstattung hinzubekommen, verändert Ayoung Kim dabei mehrere Male die Anordnung und Auswahl der Objekte sowie die Beleuchtung der Szene. Erst wenn ihr alles stimmig erscheint, hält die Fotografin ihre Komposition mit der Toyo 5x4-Großformatkamera fest.
Durch die Schnittkanten der Objekte, ihre ungleiche Beleuchtung und die unterschiedlichen Perspektiven in den Originalaufnahmen, sowie die stürzenden Häuserkanten wirkt das Motiv zunächst naiv und fast wie gemalt. Sein Bezug zum tatsächlichen, bedrohenden Ereignis bekommt es erst durch die Überschrift des Zeitungsartikels. Bei diesem und bei den anderen Motiven, die die Koreanerin nach dem gleichen Prinzip erstellt und betitelt, geht es der Fotografin um die Endlichkeit des Lebens. Ein Leben, das für den Einzelnen so wertvoll sei, dessen Schicksal jedoch aus den Medien nach einer gewissen Zeit verschwinde.
So baut sie ein Bühnenbild für den vergifteten Russen Alexander Litwinenko. Und eines für eine berühmte koreanische Schauspielerin, die sich selbst umgebracht hat. Und noch eines für einen Wal, dessen Todesursache bis heute ungeklärt ist. Ayoung Kim konstruiert Bilder, die auf Tatsachen beruhen, aber von ihr neu interpretiert werden. Subtil, rätselhaft und emotional zeigt sie, wie fragil das Leben sein kann. Ihr gehe es in ihrer Arbeit um die existenzielle Frage, wie der Mensch es schaffe, seinem Leben Sinn zuzuschreiben, obwohl er immer wieder neu mit der Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert werde.
(Ute Noll/on-photography.com)