Gerhard Lang

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Gerhard Lang

Phantombilder von Wolken

Ständig bestätigen und korrigieren wir unser Bild von der Welt; es ist die Vorlage für unser Orientierungssystem. Diese bildhaften Vorstellungen leiten uns, sie sind immer in uns. Bei der Erstellung der Phantombilder werden jene Inbilder gleichsam veräußerlicht. Ein Phantombild ist die Synthese verschiedener Vorstellungen und Informationsfragmente. Seine Mehrdeutigkeit und stimulierende Bildhaftigkeit haben eine faszinierende Anziehungskraft. Erst der Vergleich mit der äußeren Wirklichkeit zeigt uns den qualitativen Bezug des Phantombildes mit der ursprünglichen Vorstellung.

Für seine nubeologischen Forschungen setzt Gerhard Lang ein altes Phantombildgerät der Polizei ein, das nach der Einführung der Computertechnologie vom Bundeskriminalamt ausgemustert wurde (1). Dieses Montage-Gerät arbeitet mit passbildgrossen Vorlagen. Die Polizei verwendete für die Abbildung des ›Unbekannten‹ Passbilder von Inhaftierten. Gerhard Lang benutzt passbildgroße Vorlagen von Wolken, die er beobachtet und photographiert hat. Die entstandenen Wolkenphantome sind Idealbilder, sie sind uns auf den ersten Blick vertraut. Gibt es Langs Hybridwolken wirklich? Falls ja, wie hätte Luke Howard (2) sie beschrieben? Hätte Goethe auch sie losgelassen, um sich »eines Folgelebens zu erfreuen«?

Erkennt der Meteorologe in ihnen Verdächtiges, sich zusammenbrauende Unwetter, oder sind sie eher harmlos? Es ist sogar denkbar, dass Lang dereinst in einer am Phantombildgerät erzeugten Wolke spaziert und mit 2000 ml dieser Wolke in einem Scheidetrichter zurückkehrt (3). So würde das Phantom zum Phänomen. (Lutz Becker und C. N.)

Quelle: Gerhard Langs Spaziergänge zu den Wolken von Susanne Witzgall, aus der Publikation Wolken, herausgegeben vom Archiv für Mediengeschichte an der Bauhaus-Universität Weimar, 2005.

(1) 1992 verwendete Gerhard Lang das Phantombildgerät für seine physiognomische Forschungen im Zusammenhang mit der Arbeit Palaeanthropische Physiognomie, die 1995 bei der Biennale in Venedig zu sehen war.

(2) Luke Howard publizierte 1803 die erste allgemein anerkannte Wolkentaxonomie On the Modifications of Clouds. Einige Begriffe seiner Nomenklatur sind uns auch heute noch geläufig: Stratus, Cumulus oder Cirrus. Goethe war von der Leistung des Londoner Chemikers begeistert und verfasste Gedichte zu Ehren von Howard. Doch, so Goethe, solle man das Festgehaltene, das gleichsam Angehaltene, wieder loslassen, damit das Gewordene sich mit dem Lebendigen wieder vereint und seiner Wege geht.

(3) Im Zusammenhang mit seinen Landschaftsästhetischen Überlegungen unternimmt Gerhard Lang, ausgerüstet mit Spazierstock und speziellem Gerät, Wolkenspaziergänge. Am Ende der nubeologischen Untersuchung wird von der jeweiligen Wolke eine Probe in einen Scheidtrichter gesogen und mitgenommen. Wolkenspaziergang 9 findet in diesem Jahr in Rosenlaui im Berner Oberland statt.

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