getürkt ist eine über 100-teilige Serie von Frauenportraits. Auf einem Flohmarkt im Ruhrgebiet begann ich, verhüllte Frauen zu fotografieren. Jeden Samstag trifft man dort kopftuchtragende Frauen und je sonniger der Tag, um so farbenfreudiger die Kopftücher und Kleidung. In Ländern wie Marokko oder der Türkei mag dies Alltagsbild sein. Hier auf dem Flohmarkt hat das Erscheinen dieser Menschen nahezu Inselcharakter. Meine dort entstandenen Aufnahmen sind Portraits ohne Gesichter, sind Bilder von Frauen, die ich von hinten oder seitlich aufnahm, da diese sich verweigerten, von vorne fotografiert zu werden, meist aus Angst, ihr Gesicht zu verlieren, wie ich später erfuhr. Vielleicht ist es der voyeuristische Blick einer jeden Fotografin, der mich packte, mehr aber mein Interesse an fremdartiger Existenz inmitten einer gewohnten. In dieser Gesellschaft öffentlich immer ein Kopftuch zu tragen, bedeutet eine eindeutige Abgrenzung nach außen. Der Versuch, ein Gesicht doch einmal von vorne zu erhaschen, stieß – sofern bemerkt – entweder auf eine ängstliche Geste oder auf Beschimpfung durch den begleitenden Mann.
Diese Verweigerung reizte mich um so mehr, als dass ich den Ursachen auf den Grund gehen wollte. Ich sprach nun doch Frauen an, ob ich sie fotografieren könnte. Ich ging in türkische Einkaufsläden oder Imbissstuben und fragte türkische Frauen, aber die Resonanz war meist die gleiche. Türkinnen, die sowieso keine Kopftücher tragen, waren sehr interessiert an meiner Serie. Im türkischen Zentrum schließlich, wo sich regelmäßig türkische Frauen treffen, um gemeinsam zu essen und zu reden, schauten sich die Frauen interessiert meine Fotos vom Flohmarkt an und redeten über die verschiedenen Arten der Kopftuchbindung, entschieden danach, ob Türkin oder nicht und welchen Stand die jeweilige Frau hatte. Als ich zum zweiten Mal dort war, machten sich drei der Frauen einen Spaß daraus, sich Kopftücher um den Kopf zu binden und von mir fotografieren zu lassen. Keine wollte sich aber von mir ›richtig‹ portraitieren lassen, auch immer aus der Angst heraus, das Bild könnte irgendwo veröffentlicht werden. Eine einzige, sehr junge Türkin, kam an einem Abend zu mir und ich fotografierte sie mit Kopftuch. Sie sagte, für sie sei es eine Art lustige Verkleidungsaktion, da sie sich von der Kopftuchfrage als Emanzipationsfrage sowieso schon distanziert habe. Aber wie sollte ich weitermachen?
Sollte ich nun moderne Türkinnen ohne Kopftuch fotografieren? Das war es nicht, was mich interessierte. Mich interessierten gerade auch Frauen, die den hiesigen Lebensvorstellungen unangepasst schienen. Ich beschloß zunächst Freundinnen und Bekannte verhüllt zu fotografieren und stellte nach, was ich bereits beobachtet hatte, was sehr aufschlussreich war: Meine Vorstellungen von den Bildern vermischten sich mit denen der Fotografierten und mit der jeweiligen Einstellung zu diesem Thema. Als dann eine kritische Bemerkung fiel: »Ich möchte nicht Modell für eine Klischeevorstellung einer Gelsenkirchener Flohmarkttürkin abgeben«, wurde mir klar, dass ich das ja auch nicht wollte. Ich wollte keine Persiflage eines Negativbildes dieser Frauen, sondern eine ernsthafte Darstellung einer Sache.
Diesen Gedankengang unterstützte noch ein Gespräch mit einer Frau, die seit Jahren türkische Frauengruppen betreute, über die ich versuchte, Türkinnen als Modelle zu bekommen. Sie meinte mit Entschiedenheit, dass sie gerade unter den kopftuchtragenden Frauen ungeheuer selbstbewußte Frauen kennen würde und dass sie – insofern ich nur das Klischee der armen unterdrückten Türkin mit Kopfbedeckung darstellen würde – mich nicht unterstützen wolle. Ich beobachtete wieder und mir wurde klar, dass es noch etwas Anderes war, was mich an diesen Frauen faszinierte. Es war nicht nur ihre Fähigkeit zur Abgrenzung nach außen, sondern gleichzeitig ihr sicher wirkendes Auftreten und Äußeres.
Einige Wochen später hatte ich die Möglichkeit, auf einer türkischen Hochzeit Frauen zu fotografieren. Ich war also zur Hochzeitsfotografin geworden. In einem 8 qm Räumchen, eigentlich ein kleines Büro, in dem sich auch noch die Bauchtänzerin samt Gehilfin umzog, stellte ich meine Blitzlampen auf. Nur mit Hilfe eines türkischen Fotografen, dem richtigen und bezahlten Hochzeitsfotografen und der netterweise die Frauen auf türkisch ansprach, gelang es mir, einige Portraits zu machen von Türkinnen, die mir als interessante Modelle ins Auge fielen. In der darauffolgenden Zeit konnte ich durch meinen Kontakt zu den Frauen im Volkshaus auf mehren türkischen Hochzeiten fotografieren.
Das Resultat ist eine über 100-teilige Serie von Farbportraits von Frauen, die unabhängig ihrer Nationalität bzw. Religionszugehörigkeit verhüllt oder unbedeckt dargestellt sind. Es entwickelte sich für mich eine Bildsprache, die durch die Vielfalt der Farben auf Hintergrund und Kleidung lebt. Mein Interesse galt der Spannung zwischen Exotik und Tarnung, das Bild als Raum und Fläche und der Mensch darin wie ein Pendel. Der fließende Übergang von der dokumentarischen Wiedergabe einer Türkin zur Inszenierung einer getürkten Türkin machte für mich zwei entscheidende Dinge deutlich:
Wie entstehen Frauenbilder? Getürkt.
Und: Die Frage ob echt oder unecht hebt sich auf in der Frage nach der Glaubwürdigkeit des Bildes.