Eine Jahreszeit, ein Organ. Zusammengefügt zu einem Wort, das lediglich drei Silben benötigt und dennoch einen eigenen poetischen Klang erzeugt: Sommerherz. Es ist ein Kunstwort, das viel verheißt, und in seiner Konklusion fast zwangsläufig mit jenen schwelgerisch erlebten heißen Juli- und Augusttagen der Kindheit verbunden ist, die sich fest in der Erinnerung eingebrannt haben. Ein höherer Pulsschlag ist ihnen eigen.
Sommerherz: Eine eindringliche Erinnerung, ein Versprechen also, vielleicht auch eine Aufgabe, die Schmerzen bereitet. Wer sich nämlich aufmacht, im Erwachsenenalter nach der Dichte des Lebens zu suchen, kommt nicht umhin, den Blick auch auf die eigenen frühen Lebensjahre zurückzuwenden und jene kindlichen Erfahrungswelten wachzurufen, in denen alles von einem Zauber des ersten Mals durchdrungen war. Es war ein Zauber, der auch ein Stachel sein konnte. »Es gibt kein Alter, in dem alles so irrsinnig intensiv erlebt wird wie die Kindheit«, bemerkte einmal Astrid Lindgren, um sogleich eine kollektive Entwicklungsaufgabe der späteren Lebenszeit zu benennen. »Wir Großen sollten uns daran erinnern, wie das war.« Heutzutage, da das gesellschaftliche Konstrukt der Kindheit in einer verkürzt naiven Weise auf ein Mysterium der Intensität reduziert wird, kann eine solche Rückbesinnung zur verzerrenden Projektionsfläche werden. Kind sein changiert rückblickend meist zwischen Glorifizierung und Tabu, Sehnsuchtsfolie und surrealem Trauma. Dermaßen aufgeladen, ist eine Bewältigung der eigenen kindlichen Identität, die so prägend werden sollte, erst in einem Zerrspiegel möglich, den die Erinnerung bereithält. Es ist ein Spiegel, der etwa beim Durchblättern des ersten Photoalbums jene Bilder des eigenen Ichs zeigt, die in der Rückbetrachtung meist wie Leerstellen empfunden werden. Ein Verlust ist ihnen inhärent. Was war, bleibt befremdlich, was ist, nicht erklärbar. Zu Beginn ihres Romans Kindheitsmuster schreibt Christa Wolf: »Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.«
Sommerherz ist der Titel des Fotobuchs, das die in Köln lebende Porträtfotografin Thekla Ehling 2008 herausgegeben hat. Eigentlich sollte der Band einen anderen Namen tragen, betont sie bei einer ersten Begegnung. »Es fehlt etwas im Herzen«, habe ihre Tochter einmal in einem Moment gesagt, als sie das erste Mal Wehmut verspürte. Ein kindlicher Verlust, der damals physisch erlebt wurde, und später als Leitmotiv des Fotoprojekts dienen sollte. Über mehrere Jahre begleitete Ehling ihre beiden Töchter und deren Freunde und nutzte behutsam den vertraulichen Umgang, um deren innere und äußere Erlebniswelten zu erkunden. Zu ihrer Verwunderung wurde sie dabei mit den Bildern ihrer eigenen Kindheit konfrontiert. Etliche Déjà Vu's habe es gegeben, betont die Porträtfotografin, was nicht nur an dem Umstand lag, dass in jener Zeit der Retro-Look der 70er Jahre wieder aufkam. Sie fand vielmehr Bilder, die sich längst auch in ihrer Erinnerung eingebrannt hatten. Es waren Bilder voller Fragen. Wer war ich damals? Wer bin ich heute?
(Christoph Schaden)