Mona Simon

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Mona Simon

Siebenbürgen ›Erinnerungen an einen geliebten Ort‹

Vor zwanzig Jahren fiel die Berliner Mauer, und so veränderte sich die Welt. Eine indirekte, wenig bekannte Folge dieses Ereignisses ist das Ende einer mitteleuropäischen Minderheit. Eine Minderheit, aus der Mona Simon stammt. Die Siebenbürger Sachsen sind deutschsprachige Siedler aus verschiedenen Regionen des römisch-deutschen Reiches, die vom ungarischen König im 12. Jahrhundert ins Land gerufen wurden, um es gegen Invasionen zu schützen und dank ihrer landwirtschaftlichen und handwerklichen Kenntnisse zu dessen Entwicklung beizutragen. Im Laufe der Jahrhunderte gehörte Siebenbürgen zu Ungarn, dann zu Österreich bzw. Österreich-Ungarn und schließlich seit 1918 zu Rumänien. Seine Bevölkerung ist traditionell multikulturell und besteht aus Rumänen, Ungarn, Sachsen, Roma, Juden, u.s.w.

1990 ist Mona Simon zehn Jahre alt. In diesem Jahr verlassen die meisten Sachsen Rumänien und wandern etwa 850 Jahre nach ihrer Ankunft nach Deutschland ›zurück‹. Fast die ganze Gruppe entscheidet sich dafür, als solche zu verschwinden. Die wirtschaftliche Situation der Ära Ceauşescu und die Assimilationspolitik des rumänischen Nationalkommunismus haben eine wesentliche Rolle in dieser Entscheidung gespielt. Nur ein Zehntel von ihnen bleibt in Siebenbürgen.

Die Arbeit der jungen Fotografin über Exil und Gedächtnis erfolgt in einem sehr spezifischen, sowohl individuell als auch kollektiv schmerzlichen Kontext, der des weitgehenden Verschwindens einer Kultur. Dieser Arbeit den Titel eines Werkes Tschaikowskys zu geben, Erinnerung an einen geliebten Ort, bedeutet also eine Anspielung an die Sehnsucht des 19. Jahrhunderts nach dem verlorenen Paradies, einem Paradies in Osteuropa, auf dessen Spuren sie sich zwanzig Jahre später begibt. Aber ihre Herangehensweise kann nur gründlich verschieden sein, insofern als die Ausdrucksmittel des Mediums Fotografie andere sind als die der Musik oder auch des Gedichtes, etwa Baudelaires ›grünes Paradies der Kindheitsliebe‹ – ›le vert paradis des amours enfantines‹. Sprache oder Musik können die vergangene Welt in sich wieder beleben, man kann aber keine Erinnerung fotografieren. Höchstens kann der Ort gezeigt werden, wo sie damals entstand, ein in seiner gegenwärtigen Materialität verankerter Ort. Die Erinnerung wird eingebettet in die vorgefundene Realität. Die Fotografie fordert und fördert daher eine permanente Dialektik zwischen Gedächtnis und Wirklichkeit.

Besonders wichtig in dieser Dialektik ist die Auffassung von Stereotypen gestern und heute. Mona Simon zeigt auf subtile Weise Werte und Grenzen des Stereotyps. Was ist ein richtiger Roma, der (so emblematische, so oft erlebte) traurige, verwahrloste Mann mit dem langen Bart oder ein kleines blondes Mädchen? Zum ersten Mal in der Geschichte leben die verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht mehr strikt voneinander getrennt (obwohl immer in Frieden), sondern mehr und mehr miteinander. Die zugleich empathische und distanzierte Vision, die uns hier von dieser sich verändernden Welt gegeben wird, deutet an und stellt damit umso stärker die wesentliche Frage nach der Natur nationaler Identitäten im 21. Jahrhundert.

Eine Grenzengängerin ist die junge Fotografin auch, was ihre Ästhetik anbelangt. Sie wechselt zwischen dem gerührten, distanzlosen Blick eines Kindes, der Genauigkeit einer soziologischen Dokumentation und letztlich einer Kunstvision. Sie übernimmt auf klare Weise diese Nicht-Positionierung als eben eine Positionierung, die es ihr erlaubt, die verschiedenen Ebenen ihrer fotografischen Gedächtnisarbeit auszudrücken.

Nach dem Verschwinden einer Kultur droht nun die Erinnerung an diese Kultur aus diesem mehrstimmigen siebenbürgischen Konzert zu verschwinden. Das wäre ein zweiter Tod, ein endgültigerer. Die Dokumentation von Mona Simon ist aber kein stiller Abgesang auf eine untergehende Kultur, sondern eine nüchterne, ruhige Auseinandersetzung mit Gewesenem und Heutigem, die es unübersehbar macht: ›Es hat uns gegeben.‹ Ohne Worte stellt sie die Frage des Rechtes auf Erinnerung.

(Catherine Roth, Internationales Zentrum für Kultur- und Technikforschung, Universität Stuttgart; Forschungsinstitut Triangle, Lyon; ehemalige Kulturleiterin des Europarates)

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