Claudia Terstappen

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Claudia Terstappen

Cruz del Romero, Spanien 1994 – Spur und Aura

Hinsichtlich der Selbstauslegung einer Kultur spielt die in ihr dominierende Religion eine entscheidende Rolle. In ganz unterschiedlichen Religionen nimmt der Altar in entsprechender Formenvielfalt eine Zentralstellung ein. Sowohl in polytheistischen wie monotheistischen Religionen markiert er als erhöhte Opferstätte den Ort der größten Nähe zu Gott.

Im Christentum findet diese Nähe Ausdruck im Symbol des Kreuzes, das als Stabilisator der Erinnerung in Wiederholung und Variation in Szene gesetzt wird. Davon zeugt Claudia Terstappens photographische Serie „Cruz del Romero“ aus dem Jahre 1994. Ein unterschiedlich mit Blumen geschmücktes Kreuz bildet den zentralen Blickpunkt auf Altäre in verschiedenen Kirchen Spaniens. Durch ein wechselndes Ambiente und farbig differente Lichtstimmungen werden Schauplätze christlichen Kultes im »Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit« (Benjamin) belichtet. Doch darin gehen sie nicht auf, denn Claudia Terstappen nutzt das Medium Photographie, um im Bereich des Sichtbaren an das Unsichtbare zu erinnern. Die Herrlichkeit der Kirche ist gleichsam Abschattung eines himmlischen Theaters des Lichts. So erlaubt sie dem Betrachter nicht nur mit Walter Benjamin den Verlust der Aura zu beklagen, den durch Ausstellungswert verdrängten Kultwert zu betrauern, sondern auch den kultischen Zusammenhang zur rituellen Praxis von Religion zu erinnern. Die künstlerische Gestaltung des Altars, welche die Photographie ausstellt, ist stets auf die örtliche Gegebenheit und die kulturellen Bedürfnisse ausgerichtet, d.h. auf die kulturvariante rituelle Praxis. Rituale können als „Weisen der Welterzeugung“ (Goodman) verstanden werden. Als solche sind sie untrennbar verbunden mit einem Handeln in mehreren »Welten«. In diesem Sinne ist die rituelle Praxis eines Priesters nur durch die »unsichtbare Welt«, auf die diese Praxis bezogen ist, zu verstehen. Der Priester agiert zugleich in der Welt sichtbarer Symbole und in einer durch sie erzeugten unsichtbaren Sphäre, die nur von eingeweihten Ritualteilnehmern erkannt wird und für den Eingeweihten einen Zugang zur wie auch immer verstandenen »Transzendenz der Welt« bieten soll. Rituelle Praxis an Opferstätten ist immer auch Inszenierung des Heiligen, des göttlichen Bereiches fern vom Profanen.

Der Betrachter dieser Photographien kommt mit einer Erscheinung der Distanz in Berührung. »Die Spur ist Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie uns hinterließ. Die Aura ist die Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir der Sache habhaft; in der Aura bemächtigt sie sich unser.«

Für Walter Benjamin besteht zwischen Spur und Aura ein Gegensatz. Gegen diese »allzu undialektische Entgegensetzung« lassen sich jedoch alle Fälle anführen, in denen es zu einer »Auratisierung der Spur« kommt. Das Spurenmedium Photographie impliziert die Möglichkeit, das Ferne nahe zu bringen, doch die photographische Szene betont gleichsam »die Erscheinung einer Ferne«, die sich des Betrachters bemächtigt. Eine ihm womöglich nahe stehende christliche Kultur zeigt sich hier in einem anderen Licht, welches das Belichtete zugleich entzieht in eine wechselnde Farbigkeit, die das Bekannte verfremdet, das Nahe entfernt.

In der photographischen Inszenierung des inszenierten Altars, seiner Vervielfältigung und Reihung in Wiederholung und Variation von Interieur und Farbstimmung, interveniert die Geste des Blickes der Photographin. Sie zeigt sich für diese gefühlsintensive Anschaulichkeit einerseits interessiert, anderseits wirkt sie sachlich distanziert, sie steht der Sache nahe, eignet sie an und zieht sich gleichsam von ihr zurück. Gerade durch diese Gegenwendigkeit wird jedoch ein »magisches Verhältnis« erinnert, das man zu diesem vertrauten fremden Schauplatz der womöglich eigenen religiösen Sozialisation haben kann. Dieses Verhältnis entzieht sich der Erkenntnis und öffnet sich der Erfahrung. Claudia Terstappen gelingt auf diese Weise eine Rückbindung der persönlichen und der kulturellen Erinnerung an die eigene Erfahrung in leiblicher Empfindung. Photographie ist hier nicht nur ein Medium des Sichtbaren und des Unsichtbaren zwischen Berührung und Distanz, sondern auch Medium der Transformation.

(Petra Maria Meyer)

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