Seit der Präsentation seiner World Serie hat die Arbeit von Ruud van Empel heftige Reaktionen provoziert. Seine Bilder verstören die Leute. Eine häufige Reaktion ist, dass die Leute nicht wissen, was sie eigentlich ansehen. Der Kern der Konfusion liegt darin, dass er mit seiner fotografischen Arbeit künstliche Bilder kreiert. Aber nach traditionellen Begriffen ist das Künstliche, das Mystische und das Idealisierte für die Welt der Maler und Bildhauer reserviert. Die Fotografie beschäftigte sich hauptsächlich mit der besonderen und sichtbaren irdischen Realität. Seit der dokumentarischen Fotografie des Lewis Hine hat das 20. Jahrhundert die fundamentale Auffassung akzeptiert, dass sich die Fotografie kritisch an der Wirklichkeit orientieren sollte. Auch wenn Van Empel nicht verbirgt, dass seine Bilder gänzlich durchkonstruiert sind – sie sind mit Hilfe des Computers akribisch montierte Fotomontagen – die Kombination von leuchtend farbigen und sehr detaillierten Fotos auf der einen Seite, und urbildliches Denken auf der anderen, generiert einen gewissen Schock.
Van Empel ist auf der Suche nach ursprünglichen Bildern von Unschuld und Schönheit. Seine Bilder entstehen auf eine Art, die stark an die altertümliche Fotomontage erinnert. Er hat auf seinem Computer ein Archiv von tausenden Fotos der Elemente, die er selbst fotografiert hat, wie z.B. Models, Blumen, Wasserlinie, Wasserlilien, Bäume und Insekten. Er fotografiert die Natur in ländlicher Umgebung, Parks und häufig in botanischen Gärten. Van Empel verwendet nur digitale Kameras. Aus der Kollektion malerischer Komponenten konstruiert er Fotocollagen, welche er auf sehr raffinierte Art mit der Hilfe von Photoshop zusammensetzt. Diese digitalen Bilder von Ruud van Empel besitzen eine fotografische Überzeugungskraft, größer als alles, was wir aus der fotografischen Kunstgeschichte kennen, wie z.B. die Arbeit des anerkannten Großmeisters John Heartfield. Sie sind unglaublich real.
Ende der Neunziger und zu Beginn des neuen Jahrtausends, bewegte sich Van Empel auf der Suche nach Urformen der Unschuld durch ein Minenfeld an emotional aufgeladenen visuellen Traditionen, mit denen er, explosive Resonanz hervorrufend, immer wieder zusammenstieß. Die Reaktionen waren meist emotional, extrem negativ und geradezu plump. Die vermuteten Assoziationen mit existierenden visuellen Traditionen waren absolut unzutreffend. Van Empel hatte nicht nur Absichten, die absolut fremdartig zu den Bildern sind, mit denen seine Arbeit in Verbindung gebracht wurde, auch der gesamte Kontext seines Oevres macht es offensichtlich, dass er daran arbeitet eine völlig andere und innovative Bildergattung zu erstellen. In der Begrifflichkeit von Kunst und Geschichte, und vom Standpunkt des Geschichtsverständnisses aus, waren die negativen Reaktionen allerdings sehr interessant. Einige davon werden unten wiederholt, aber es wird auffallen, dass sie vollständig ungerechtfertigt sind. Trotzdem ist klar, dass Van Empels Bilder einen tiefen Eindruck und einen emotionalen Ausbruch hinterlassen haben. Was ständig mit künstlerisch starken Arbeiten passiert, auf die ersten emotionalen Reaktionen folgt langsam aber stetig Anerkennung und eine auf den Inhalt basierende Beurteilung der Qualität der Arbeit. Dieser Text schließt mit einer kurzen Skizze, mit dem Ziel aufzuklären und Van Empels Arbeit in der heutigen Kunstindustrie zu positionieren.
Für Van Empel sind Natur und Kinder wichtige Elemente für die Darstellung von Unschuld und Schönheit. Seit 1990 beschäftigt er sich mit computergenerierten Skizzen, in welchen er mit beiden Motiven experimentiert. Er produzierte Zeichnungen und Studien von Waldszenen in Grün, meist mit lebenden Kreaturen oder nur mit Vögeln, Insekten oder Wild. Diese Bilder erzeugten wiederum eine streitbare Reaktion: dass diese Szenen ›Kitsch‹ wären. 2003 und 2004 produzierte er außerdem Skizzen ›einheimischer Kinder‹ in Alltagskleidung vor dem Hintergrund von Vorstadt-Wohnblöcken.
Seinen Experimenten von 1995 folgend, machte Van Empel eine Kombination von Figuren junger Kinder und Natur in seinen späteren Studies in Green, 2003-04, und in untitled 2004–05. Diese zeigt weiße Kinder in einem nordeuropäischen Wald mit Eiche und Birke und anderen Baumarten. Für Van Empel waren das Studien, in welchen Kindheit und Jugend Symbole für Unschuld und Schönheit sind. Die Unschuld wurde in den Fotografien der Mädchen verstärkt, teilweise durch die weißen Kommunion-Kleider. Die Reaktionen auf diese Bilder waren sogar noch extremer und komplett fehl interpretiert. Die Bilder von Kindern im Wald wurden als Hinweis auf Pädophilie gesehen, und die stilisierten Posen und Blicke wurden als ›gruselig‹ empfunden. Dazu wurden die blauäugigen und blondhaarigen Mädchen mit den Propaganda-Bildern des Nationalsozialismus verknüpft, in denen Mädchen als Arier portraitiert wurden. Zu guter Letzt gab es die unvermeidliche Assoziation mit dem in der westlichen Welt sehr bekannten Märchen ›Rotkäppchen‹, in dem ein weißes, unschuldiges Mädchen in einem dunklen Wald einiges Unglück durchlebt, welches durch den großen bösen Wolf personifiziert wird, der seinen Vorteil aus ihrer Naivität zieht und sie auffrisst.
(Maartje van den Heuvel, Kurator für Fotografie, Universität Leiden)