Das zentrale Objekt meines Projekts, das auf der Beobachtung des Verschwindens der filmbasierten Fotografie aufbaut, war die Dunkelkammer, die durch den phänomenalen Siegeszug der Computertechnologie zunehmend aufgegeben wird. Als Akteur und Zeuge dieser entscheidenden Phase in der Geschichte der Kunst und der Fotografie, der sich zwischen analogen und digitalen Prozessen entscheiden musste, wollte ich den ikonischen Charakter dieser postindustriellen Ruinen mit ihren Überbleibseln protokollieren.
Im Wissen um das polemische Potential dieses Projekts näherte ich mich der Dunkelkammer wie ein Schadensregulierer oder wie ein Gerichtsmediziner auf der Suche nach Hinweisen an einem Tatort, an dem die Zeit still stand und der orangefarbene Schimmer der Dunkelkammerleuchte die Schichten, Spuren und Ablagerungen der handwerklichen Tätigkeit verbarg.
Mit dem profanen, häretischen Blick des ikonoklastischen Detektivs, geleitet von dem Verlustgefühl, in dem ich die Wurzel all meiner kreativen Aktivität sehe, inspizierte ich diese anachronistischen Orte, ihre Zugänge und Winkel in allen Einzelheiten: die Mechanismen zum Ausschluss von Störlicht, den Vergrößerungsapparat, die elektrischen Kleinteile, den Verlauf der Rohre, die motorisierten Systeme, die Silbersalzflecken, die Wannen und die Zeitschaltuhren, die sich dem Ende dieses panchromatischen Spektrums widersetzen.
Dank der positiven Rezensionen nach der Veröffentlichung meines Werks setzte ich die Dokumentation von Dunkelkammern in verschiedenen Großstädten fort: Toronto, Mexico City, Havanna, Paris, Brüssel, Berlin, Niamey, Ho-Chi-Minh-Stadt und am Ende Tokio. Ursprünglich hatte ich die etwas unklare Absicht, die vielen attraktiven Formen und Mechanismen der Dunkelkammern in den Vordergrund zu stellen.
Diese unvollständigen Beobachtungen sollten deshalb nicht zu allzu vereinfachenden Aussagen über die spezifischen Bedingungen der Fotografie in bestimmten Ländern verleiten. Wohl aber würde ich gern glauben, dass ich als einer der ersten das Verschwinden der Dunkelkammer aus einer Perspektive betrachtet habe, die sich an die der visuellen Anthropologie anlehnt.
Als französischsprachiger Künstler aus Quebec mache ich mir Gedanken um die Spannungen, die durch die Globalisierung in den ›Kulturindustrien‹ der Welt entstehen. Ich hoffe, durch die Fortsetzung meiner Arbeit an den unterschiedlichen Orten und Ländern, in denen eins der wichtigsten Medien des 20. Jahrhunderts geschaffen wurde, einen Beitrag zur kritischen Untersuchung des kulturellen Ethnozentrismus zu leisten, der das Verständnis und die Interpretation der ›universellen‹ Geschichte der Fotografie so lange dominiert hat.
Dieser Text ist Teil eines Vortrags für eine Konferenz im Anschluss an die ersten Dunkelkammerfotos, die ich 2005 in Montreal aufgenommen habe, erschienen in der Monographie Darkroom (Nazareli Press, Tucson,Arizona, USA, 80 S., 2007).
1 Der Titel paraphrasiert einen der wichtigsten Aufsätze zur modernen Fotografie, Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, erschienen 1936 in der Zeitschrift für Sozialforschung.