Andreas Mühe

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Andreas Mühe

Obersalzberg

Umgeben von schneebedeckten Bergen und Wäldern steht ein Mann. Pinkelnd und in Uniform gekleidet.

Dichte Wälder und hohe Berge, unbezwingbar und archaisch, nehmen nahezu die gesamte Bildfläche ein. Wie ein kleiner dunkler Fleck inmitten der scheinbar unberührten Natur kann man einen Mann in Uniform erkennen.

Kaum wahrnehmbar ist die rote Armbinde mit dem Hakenkreuz, die den Inhalt des Werkes unmissverständlich mit einem Teil nationaler Geschichte verbindet. Die Verbindung der romantisch anmutenden, fast ins Kitschige übergreifenden Landschaft mit einem Offizier oder SS-Mann des Naziregimes wirkt verstörend, die Aktion des Pissens provozierend.

Die Wahl des Ortes ist historisch begründet. Die Berchtesgadener Landschaft rund um den Obersalzberg dienten Hitler und seiner engeren Gefolgschaft als privater Rückzugsort.

Belastet mit deutscher Geschichte strotzt der Berg dennoch vor erhabener Schönheit und kann seine Vergangenheit nicht abstreifen. Wie ein Revier markieren die pissenden Nazis die Landschaft. Die malerische Kulisse der Berglandschaft dient auch als düsterer Hintergrund der Selbstinszenierung. Perfekt in Szene gesetzt, wird der SS-Mann zum Mannequin, der vor der Kamera posiert. Die Inszenierung selbst wird sichtbar und entlarvt sich als bloßer Schein. Die Figuren sind verschwindend klein in der Landschaft, die Gesichter abgewandt und nicht erkennbar. Die Überpräsenz der Landschaft und die abgewandten Posen erinnern an die deutsche Romantik und ihre Huldigung der Natur und gleichzeitige Verlorenheit darin.

Bei Mühe ist die Landschaft fast unerträglich schön, die Besinnung auf die Natur wird im Gegensatz dazu aber auf die exakt in der Bildmitte positionierten Personen gelenkt. Für Jean-Luc Nancy ist das nationalsozialistische Regime ein »Regime der Überrepräsentation« 1, das immer wieder versucht, sich als herrschender, überlegener Typus zu inszenieren und sich damit erst erschafft. Im kollektiven Bildgedächtnis haben genau diese Bilder ihre Spuren hinterlassen.

Analytisch rekonstruiert der Künstler Aufnahmen deutscher Vergangenheit, die schon vor langer Zeit aus dem Bildgedächtnis verbannt wurden. Seine Referenzperson ist Walter Frentz, ein Fotograf, der das öffentliche Bild des Naziregimes wesentlich geprägt hat.

In einer Reihe von Porträts lässt Mühe seine Freunde, deren Namen als Titelgeber fungieren, in die Rolle des Naziverbrechers schlüpfen. Während Walter Frentz kaum Zeit hatte, seine Modelle in Pose zu setzen, lenkt Mühe alles Augenmerk auf die Stilisierung seiner Protagonisten. Perfektionistisch, in makelloser Uniform, mit exakt sitzendem Seitenscheitel und vor gleichem rötlichen Vorhang zeigen ›Klemens‹, ›Patrick‹ und ›Arne‹ ihre Gesichter. Weibliche Protagonisten zeigt Mühe nur in Rückenansichten.

Die Flechtfrisuren waren als sogenannter Gretchenzopf Sinnbild der Frau im Dritten Reich, die im Schatten ihrer Männer ganz dem traditionellen Rollenbild entsprach. Die Tattoos entsprechen der Realität der selbstständigen Frau von heute und scheinen nicht recht mit den Zöpfen zusammenzupassen. Der tiefschwarze Hintergrund lässt die Körper skulptural, fast haptisch wirken, und erinnert an die Porträtmalerei alter Meister.

Gerade weil man den Bildern von Andreas Mühe ihre Ästhetik nicht absprechen kann, weil sie schön sind, wirken sie verstörend. Mühe fotografiert mit einer analogen Großformatkamera, deren Bilder sich besonders durch Schärfe und Brillanz auszeichnen, der etwas Mystisches mitschwingt.

1 Jean-Luc Nancy: Das Darstellungsverbot, in: Am Grund der Bilder, Berlin, 2006, S. 51–91, S. 70

(Barbara Jenner)