Sind Sie satt?
Per Johansens Bilderwelt steht emblematisch für den Überfluss der Wohlstandsgesellschaft. MÆT (deutsch satt) kreist explizit um das Thema Vergänglichkeit; seine Fotos sind von Unausgeglichenheit und gesellschaftskritischer Beobachtung geprägt. Sie kommentieren den vom künstlichen Überkonsum von Produkten geprägten Zeitgeist und verweisen auf die zeitgenössische Konsummentalität. Sie stoßen eine wichtige Diskussion an, die an die Sozialkritik und die ideologischen Aspekte zur Dekonstruktion des Systems in den 1970er Jahre erinnert – eine Gesellschaftskritik, die es heute so nicht mehr gibt.
MÆT zeigt Fleisch, Gemüse, Pasta und andere Nahrungsmittel, die in klaustrophobischer Enge in verschiedene synthetische Plastikbehälter verpackt sind. Schattierungen von Beige, Rosa und Hellblau in Vorder- und Hintergrund verleihen den Bildern einen fröhlichen Aspekt. Die Beleuchtung erinnert an holländische Stillleben, bei denen weiche Töne von Licht und Schatten die Stimmung des Sujets definieren.
Auf den ersten Blick wird der Betrachter von der scheinbaren Ästhetik und perfekten Harmonie von Würstchen, Huhn und Fisch angezogen, aber bei näherem Hinsehen ist das Motiv von Verfall, Ekel und Enge gezeichnet. Der Zerfall stört das harmonische Gleichgewicht. Eine Art optischer ›trompe l’oeil“-Effekt scheint mit im Spiel und kokettiert mit den Konventionen, die man auf den ersten Blick zu sehen glaubt.
Zu den anderen Werken des Künstlers zählen New View York – evokative architektonische Linien mit melancholischen Untertönen und Geschichten vom urbanen Leben, das seine Spuren auf den gedämpften Silhouetten der Gebäude hinterlassen hat. Another Side und Solo zeigen Menschen und Objekte, die auf überraschend innovative Weise aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst wurden. Typisch für Johansens Werk ist das Konzept der Vanitas, das den Motiven eine filigrane Vergänglichkeit verleiht, ausgelöst und dekonstruiert durch das transzendentale dritte Auge des Fotografen.
Man kann die Fotos als hybride Objekte betrachten, die zu neuen, hybriden Gebilden verschmelzen. Einerseits verleiht ihnen die Glanzlackschicht, die die Werke überzieht, eine pastose, distinktiv kommerzielle Expressivität. Andererseits ist der Betrachter mit Devianz konfrontiert: mit einer anstößigen synthetischen Plastikwelt, in der organisches Gemüse und Fleisch auf ewig in Zeit und Raum gefangen bleibt. Johansens fröhlich-minimalistischer Ausdruck entspricht der ›konventionellen‹ Werbesprache und wirkt verführerisch, gleichzeitig aber auch disharmonisch, weil der Code der Werbung gebrochen wird. In den materiellen Elementen verbirgt und offenbart sich etwas Immaterielles, diffus Hybrides. Dadurch sind die Hybride autonom und stehen jeweils für sich.
Heutzutage ersticken die wohlhabenden Konsumgesellschaften an den Massen von Nahrungsmitteln, und die lukrative globale Nahrungsmittelindustrie steigert mit gentechnisch erzeugter Nahrung, E-Nummern und Pestiziden ihre Verkaufsstatistiken, während eine wachsende Zahl von Konsumenten sich Operationen gegen Fettleibigkeit unterziehen oder psychiatrische Hilfe in Anspruch nimmt. Und wie sieht Ihr Lebensmittelkonsum aus? Sind Sie jetzt satt?
(Charlotte Kim Boed – Kuratorin, Gallery B15)
Um ehrlich zu sein, mag ich keine ›Künstler-Statements‹. Ich akzeptiere sie, weil man damit manchmal den Leuten, die das brauchen, das Kunstwerk ›erklären‹ kann. Deshalb ist mein Statement so kurz und klar wie möglich.
Mein Werk: Hauptsächlich suche ich nach anderen Wegen oder Seiten. Nicht nach besseren oder gegenteiligen, sondern nach dem, was ich aufdecken kann. Ich will feststellen, ob ein Sujet harmonisch ist oder gegen sich kämpft. Das kann man nie wissen. Das Sujet kann aus der einen Perspektive völlig harmonisch wirken, während aus der anderen totales Chaos herrscht oder etwas dazwischen. Es ist genauso verworren wie die menschliche Natur.
Ich habe Herz und Verstand. Für mich sind sie gleichbedeutend. Meine Ideen entspringen immer dem einen oder anderen. Meistens ist es das Gefühl, das den Anstoß gibt. Selbst meine konzeptionellen Ideen werden von mehr oder weniger unbewussten Stimmungen oder Gefühlen ausgelöst.
Auch methodisch arbeite ich mit Herz und Verstand. Bei manchen Projekten will ich den Betrachter emotional beeinflussen, um so seinen Verstand anzuregen. Bei anderen, bei denen es um Stellungnahmen geht, gehe ich vom Verstand aus und führe den Betrachter darüber zu seinem Herzen.
Mein Ziel ist es, die beiden Elemente so zu verbinden, dass die Komplexität eines Sujets sichtbar wird. Für mich sind Herz und Verstand an allen Dingen des Lebens beteiligt. Wenn sie wie so oft miteinander in Streit liegen, dann will ich diesen Streit untersuchen und Wege finden, sie zu Freunden zu machen.
Mein Thema: Was immer ich auf dieser Welt sehen kann. Ich weiß, dass am Ende alles gleich wichtig ist. »Alt er såregodt«, sagt der dänische Philosoph Martinus (1921–1981), das heißt: »Alles ist nur gut.« Auf dieser Vorstellung – überall und in allem gibt es Bedeutung – basieren meine Motive. Es gibt deshalb keine Grenzen.
Warum: Die Welt ist kein leichter Ort zum Leben. Das bevorzugte menschliche Kommunikationsmittel sind Wörter. Mir reicht das nicht. Ich glaube, dass der Mensch immer noch viel aufdecken muss. Das erfordert unterschiedliche Werkzeuge, zu denen auch die Fotografie gehört. Ich wähle die Kamera. Ein Foto basiert auf realen, materiellen, ja sogar beweglichen Dingen, die jeder sehen und erkennen kann – diese Sprache ist allen zugänglich. Aber wenn man es einfriert, wird es irgendwie irreal, so als wollte man einen Gedanken einfrieren. Ein Foto hat keine Progression wie Filme, Musik und Geschichten; ein Bild zu betrachten, zwingt in gewisser Weise dazu, in einen erstarrten Moment einzutauchen. Das interessiert mich sehr und bringt mich dazu, das Bett zu verlassen und das zu tun, was ich eben tue.