Nach Nashville, Tennessee, kommen Musiker aus den USA, um Karriere zu machen; wie in den 60iger Jahren Loretta Lynn, Johnny Cash oder Dolly Parton. Abseits der kommerziellen Musikindustrie existiert eine junge, idealistische Szene, in der mit voller Hingabe Musik gemacht wird, getrieben von der Vision, es irgendwie zu schaffen, wenn man nur alles dafür gibt. Denn solange man spielt, wird alles gut. Zunächst spielen die Bands kleine Gigs in den Honky Tonks, den rauchigen Bars von Nashville, wenige bekommen später die Chance, auf der Bühne vor Tausenden aufzutreten. Nadine Bracht begegnet dem amerikanischen Traum als Bandportrait. Während ihres dreijährigen Aufenthalts in Nashville fotografiert sie junge Musikerinnen auf ihrem Weg, sich in der Welt der Country-Musik künstlerisch zu positionieren und wirtschaftlich zu behaupten. Als Nadine Bracht die Jypsis das erste Mal trifft, ist sie fasziniert und gleichzeitig überrascht. Ihr traditioneller Musikstil in Kombination mit einer wilden, leidenschaftlichen Ausdruckskraft scheint das Cowgirl-Klischee zu verlassen. Aus ersten Fototerminen und Gesprächen entwickelt sich schnell die Projektidee. Nadine Bracht begleitet die Frauen zu Auftritten in Clubs und Bars, besucht sie zu Hause, fotografiert sie beim Jammen, Proben und Aufnehmen; stets bemüht, die Musik und das damit verbundene Lebensgefühl in Bildern auszudrücken. Es entsteht eine facettenreiche Dokumentation, die in einer Auswahl von fünf Fotografien gezeigt wird.
Die Jypsis sind eine Geschwisterband, die täglich im Layla's Bluegrass Inn, einer kleinen Bar Downtown, für Trinkgeld spielen. Musik ist ihr Leben, keiner von ihnen kann sich vorstellen, etwas anderes zu machen. Und berühmt wollen sie werden. Das ist ihr Traum, seit sie mit dem Vater als Familienband durch die Staaten fuhren. Lillie Mae war drei Jahre alt, als sie das erste Mal auf der Bühne stand. Vor zwei Jahren unterzeichnen sie einen Plattenvertrag bei Sony. Größere Gigs folgen, die erste Single wird ausgekoppelt und in Radiostationen landesweit gespielt; Shows in der legendären Grand Ole Opry und im Ryman stehen im Kalender. Sie sind auf dem Weg, der sie zu Country-Stars machen soll: überregionale Konzerte, Radioauftritte, Interviewtermine, gemeinnützige Shows, Fotoaufnahmen, Videodrehs usw. Ihr Tagesablauf ist straff organisiert, das Musikerleben ist hart, da bleibt kein Platz für Schule, Lernen oder Studium; zumindest Musikunterricht braucht bei den Jyspsis aber keiner. »Wir verlassen uns auf unser Gefühl und jammen« sagt Scarlett. Die eigenwillige und körperbetonte Mode der Schwestern gefällt nicht allen Anhängern der konservativen Country-Szene. Beim jährlichen Blue-Grass Festival in Nashville fordern die Veranstalter die Band auf, die Mini-Röcke auszutauschen oder zu gehen. Die Antwort ist klar: Sie verlassen die Show. Wo immer die Jypsis samt Freunden auftauchen, stehen sie im Mittelpunkt: schrilles Styling, Gelächter, Gesang. Morgens um drei singen sie zur Jukebox bei French Toast und Kaffee: »I've always been crazy …‚« Ein Song von Waylon Jennings, ihr großes Idol. Er gehörte 1970 zu der Nashville-Outlaw-Bewegung und weigerte sich, den angepassten Nashville Sound zu spielen. Hoffentlich werden sich die Jypsis ebenso erfolgreich weigern. Miau.