Ein Tisch in einem Gasthaus: seine Platte aus massivem Holz oder furniert; das pflegeleichte Resopal schon fast wieder verschwunden. Selten finden wir eine Decke darüber gebreitet und Blumenschmuck gibt es so gut wie nie. An den Wänden dahinter hängen manchmal Bilder oder Fotografien, die längst vergessene Gäste oder Wirtsleute zeigen; oft auch Geweihe, Krüge oder andere Devotionalien. Soweit ein Tisch wie jeder andere. Wäre da nicht dieses Signet Stammtisch – ein Aschenbecher, ein Wimpel oder ein schmiedeeisernes Schild, das den Tisch samt der Stühle und Bänke, die ihn umgeben, als besonderes Territorium im Gastraum markiert und nur für bestimmte Personen zugänglich erklärt.
Volker Schrank legt keine nostalgische Dokumentation eines bedrohten Ortes gemütvoller deutscher Befindlichkeit und bürgerlichen Behagens vor. Stattdessen sehen wir menschenleere Interieurs, begrenzt auf das kontextuelle Minimum: Tisch und Stühle vor einer Wand – und ein Stammtisch-Schild. Die Raumtiefe, die wir bei solchen Aufnahmen erwarten, ist stark reduziert. So wirken die Bilder flächig und kulissenhaft. Ein wenig vielleicht wie unbelebte Bühnenbilder. Dennoch erscheinen – vor unserem inneren Auge – die Akteure, die bald ihre Plätze einnehmen werden. Die örtlichen Honoratioren beispielsweise, eine heiter verschworene Gemeinschaft vielleicht im Geschacher um Macht und Aufträge in der Stadt. Aber es könnten genau so gut auch Friedensaktivisten sein, Sportgruppen oder Parteifunktionäre, die sich um einen solchen Tisch einfinden, Mitglieder der Handwerkerinnung, oder Rotarier. Möglicherweise sehen wir aber auch uns selbst als Mitglieder einer solchen Runde – denn wohl die meisten haben schon einmal an einem Stammtisch gesessen oder sitzen sogar regelmäßig daran. Wir wissen um die Lauten, die Leisen, die Rechthaber, die Schweiger, die Melancholiker und die stets Vergnügten.
Stammtisch – das ist das beharrliche Bemühen, einfache Antworten zu finden auf komplexe Fragen.
(Dr. Matthias Bullinger)