Ivo Mayr

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Ivo Mayr

StadtLandFlucht

Nicht an dem Ort zu leben, an dem man geboren und aufgewachsen ist, ist in meiner Generation keine Seltenheit. Liebe, Neugier, Freundschaft, Beruf – gleich welches das Motiv zum Verlassen der Heimat war; Hinter der Entscheidung steht immer die Aussicht, sein Leben neu zu gestalten, es von einem anderen Standpunkt zu betrachten. Meine Fotoarbeit StadtLandFlucht thematisiert die Erfahrung, an einem Ort zu leben, der fern von dort liegt, wo ich geboren und aufgewachsen bin – fern von dem Ort, den ich Heimat nenne. Der Anstoß weit weg zu ziehen war für mich die Aussicht auf ein Leben in der Großstadt, die so ganz anders war als das, was ich kannte, aufregender, weiter und grösser. Vieles davon habe ich gefunden, doch merkte ich auch, dass mir vieles fehlt. Jeder Schritt irgendwo hin ist immer auch ein Schritt fort von etwas. So entstand mein Heimatgefühl erst mit dem Moment des Fortgehens, und es ist seither gewachsen. Dennoch spüre ich bei jeder Wiederkehr in meine Heimat auch eine deutliche Entfremdung. Der Ort der Heimat ist in der Realität anders als man ihn in seinen Erinnerungen und Sehnsüchten in sich trägt. Heimat wird geschaffen durch ihr Verlassen, sie wird zum Ort der Sehnsucht, ebenso unerreichbar wie die einstige Vision vom vollständig neuen Leben.

Dieser Seelenzustand zwischen Entwurzelung und Sehnsucht steht im Mittelpunkt der Serie StadtLandFlucht. Die Arbeit zeigt Menschen aus beiden Welten: Heimat ist hier als ländlich stilisiert, die Ferne als urbanes Umfeld. Die Personen am Ort ihrer Heimat sind stark mit dem Boden verhaftet. Sie haben hier ihre Wurzeln. Allerdings wirken auch sie ihrer heimischen Umgebung nicht mehr zugehörig. Ihre Posen und Verhaltensweisen fügen sich nicht in das Landschaftsbild ein, sie drohen zu stürzen oder zu fallen, verlieren den Boden unter den Füßen und erscheinen dadurch vollkommen deplatziert. Die Personen hingegen, die fern ihrer Heimat sind, zeige ich schwebend. Sie tragen die Heimat als Idee in sich, und schon ein kleiner Auslöser genügt, um sie aus ihrem Umfeld zu heben. Sie wirken entrückt und dem Beton der Städte nicht zugehörig. Ihnen fehlt die Verwurzelung, sie haben keine feste Bindung mit dem Grund. Allen gemeinsam, in den Stadt- ebenso wie in den Landbildern, ist das Gefühl des Dazwischenseins, der fehlenden Zugehörigkeit – ein Gefühl, das aus der Differenz zwischen der Aussicht auf ein anderes Leben und dem Verlassen der vertrauten Umgebung entstand.

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