Meine Sammlung von Amateurfotos, die 1998 ihren Anfang fand, umfasst inzwischen etwa 12.000 Negative und Dias. Fotografien ohne künstlerischen Anspruch, deren Zweck vor allem das Konservieren besonderer Lebensmomente war, um später Gefühle neu zu beleben und Erinnerungen wachzurufen. Nach dem Tod des Besitzers scheinbar wertlos, deshalb weggeworfen oder verramscht, gab mir ein Foto den Anstoß für diese Serie. In einer Gruppenaufnahme aus den 1930-40er Jahren, bei der sich eine Familie vor einem Hauseingang aufreiht, war das Gesicht einer Frau aus unbekanntem Grund herausgeschnitten worden. Dieses Bild bzw. die Dramatik des fehlenden Gesichtes, übte eine große Anziehungskraft auf mich aus. Der nächste Schritt war für mich nahe liegend: Im Experiment verlieh ich Frauen auf ausgewählten Fotos meiner Sammlung mit Hilfe der digitalen Fotomontage mein Gesicht.
Beim Posieren für die dafür notwendigen Aufnahmen von mir stellte sich heraus, dass für eine überzeugende Montage es nicht nur technisch (Licht, Farben, Perspektive, Make-up, Accessoires) notwendig ist, sich in die vorliegende Situation (des Originalbildes) hineinzuversetzen. Ich musste auch versuchen, Mimik und Körperhaltung nachzustellen, musste versuchen, mit allen verfügbaren Anhaltspunkten die Stimmung und den Charakter dieser Personen sowie den ›Typ‹ der Aufnahme selbst zu erfassen, um mich glaubhaft einmischen zu können. Spannend für mich dabei: Das Spiel mit Identitäten, Rollen, ein Hineindenken in eine andere Frau. Ein Fenster in ein anderes Leben und eine andere Zeit. Eine spielerische Auseinandersetzung mit der Frage ›was wäre wenn‹, wobei die Fotos die Bühne für diese Auseinandersetzung liefern.
Die Originale der Bilder dieser Arbeit fand ich auf Flohmärkten, in Antiquariaten und über Nachlassauktionen. Amateurfotos aus einem Zeitraum von fast einhundert Jahren. Beginnend nach der Erfindung der Trockenplatte, als Fotografien für ein größeres Publikum erschwinglich wurden und in Form von Studioportraits für jedermann in die Haushalte einzogen, spannt sich der Bogen über erste Freiluftportraits bis zur Kultur der Schnappschuss‧otografie. Abbildungen von Frauen, die alle ›vor meiner Zeit‹ lebten.