Selbst jüdisch-orthodox erzogen, hat sich die israelische Fotografin Lea Golda Holterman für ihre jüngste Porträtreihe in die tief religiöse Welt jüdischer Männer begeben. The Orthodox Eros – so hat sie ihre Arbeit überschrieben. Die 33-jährige untersucht vorsichtig das gesellschaftliche Image des jüdisch-orthodoxen Mannes bezüglich der Themen Eros und Erotik.
Im westlich-abendländischen Kontext steht Eros für Leidenschaft, Körperlichkeit und sinnliches Verlangen. Gerade Letzteres betrachtet Holterman im Kontext orthodox jüdischer Religiosität als tiefe, allumfassende Sehnsucht im mythischen Sinne und daher als das Kernstück dieser.
Der spirituelle Eros begründet sich in der jüdischen Philosophie in der männlichen Sexualität. Das Verhältnis zum eigenen Eros liegt hier jedem Denken zugrunde. Die männliche Identität basiert auf der Spannung zwischen diesem und der jeweiligen Möglichkeit der eigenen Erotik und Sinnlichkeit Ausdruck zu verleihen. Vom Hohelied über den SchirHaSchirim hin zu diversen Mischna-Traktaten haben sich zahlreiche Texte der orthodoxen jüdischen Literatur genau diesem Phänomen gewidmet.
Holterman geht es darum, eine ästhetischen Sprache zu finden, die sich die seduktiven Elemente der Fotografie zu eigen macht. Auf diesem Weg gelingt es ihr, dem Betrachter eine neue Perspektive zu eröffnen und visuell einen neuen Mythos vom jüdisch-orthodoxen Mann zu kreieren. Unwissenheit und Ignoranz erschufen im kollektiven Gedächtnis westlicher Gesellschaften das Bild jenes rim-baudschen ›Anderen‹, jenes nicht sexuellen, einer anderen Welt zugehörigen, religiösen Wesens, das seither die Rezeption bestimmt.
Dagegen setzt die selbst einst der Haifaer orthodoxen Gemeinschaft angehörige Holterman Verlockung und Provokation. Mittels einer faszinierenden Verflechtung von malerischen Motiven, moderner Fotografietechnik und jüdischer Philosophie wird hier der Versuch gewagt, herkömmliche Bilder des kollektiven Gedächtnisses zu verändern.
Dokumentation und inszenierte Photographie werden dafür miteinander verbunden. Holterman bezieht sich dabei ganz explizit auf das Motiv der Neuverknüpfung vom Objekt und dessen linguistischer Repräsentation bei Roland Barthes. So wird das Zeichen selbst zum Vorboten, ja Verkündenden, zum sich ›zum Zeichen Setzenden‹. Obwohl wir uns dessen häufig nicht bewusst sind, werden auf diese Art und Weise oftmals moderne Mythen kreiert. Schließlich gewährleistet die Erschaffung dieser eine Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ideen – ob im Sinne aktueller Ideologien, machthabender Klassen oder den ihrer Kontrolle unterworfenen Medien. Auch Barthes verweist in seinen Schriften über den Prozess der Mythologisierung auf die Tendenz sozial konstruierte Narrative suggestiv zu ›naturalisieren‹ und plötzlich ungefragt als gegeben anzunehmen.
In Holtermans Porträts werden die jüdisch-orthodoxen Jungen in ihrer natürlichen Vorgeschichte zurückversetzt, jedoch durch kunsthistorisch klassisch besetzte Motive bzw. Posen zu einer neuen Semiologie im Sinne Roland Barthes inszeniert.