Ausgehend vom Gedanken, warum bestimmte fotografische Bilder zu so genannten Foto-Ikonen werden und, ob die abgebildeten Gesten und Posen dabei eine tragende Rolle spielen, reinszeniere ich Fotografien, die vor allem aus dem Pressebereich stammen und die sich stellvertretend für zeitgeschichtliche Ereignisse im kollektiven Gedächtnis unserer (westlichen) Gesellschaft(en) manifestiert haben. Diese setze ich in ein alltägliches Umfeld.
Um der Frage näher zu kommen, was genau ein einzelnes Foto zu einer Ikone werden lässt, beginne ich möglichst reduziert mit der abgebildeten Form eines Körpers und möchte so herausfinden, ob sich bereits durch das reine Nachstellen der Pose eine Wiedererkennung des ursprünglichen Motivs beim Betrachter einstellt, oder ob der Aufbau und die Stimmung eines Bildes ebenso von Bedeutung sind.
Der Kunsthistoriker und Wissenschaftler Aby Warburg stellte zu Anfang des 20. Jahrhunderts in seinen Betrachtungen und Vergleichen von Abbildungen der griechischen Antike mit italienischen Renaissancegemälden fest, dass sich bestimmte Gesten und Ausdrücke von Emotionen, so genannte Pathosformeln, in unterschiedlichen Motiven verschiedener Epochen wieder finden und in andere Zusammenhänge übertragen werden. So wurden Ausdrücke antiker heidnischer Figuren zu denen christlicher Heiliger und bis heute erkennen wir in zeitgenössischen Bildern gewisse Gesten und Posen wieder, die christlichen Ursprungs gedeutet werden. Warburg erkannte, dass Bilder ein ent- scheidendes Medium zur Bildung und Ausprägung eines kollektiven oder kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft sind. Seit dem 20. Jahrhundert werden vor allem durch fotografische Bilder kulturell geprägte Gesten oder Posen verinnerlicht und reproduziert. Als Gründe für die Popularität von Foto-Ikonen gelten neben einer massenhaften Verbreitung auch die Anordnung der Zeichen, die Lesbarkeit der visuellen Information im Bildraum, und der bewusste (propagandistische) Einsatz dieser bestimmten Information. Die abgebildeten Formen und Zeichen werden auf der fotografischen Oberfläche zu einer kulturell codierten Information. In der Presse- und Dokumentarfotografie werden oft Posen und Gesten christlicher Motive verwendet. Ob dies bewusst oder unbewusst geschieht, sei dahingestellt. Die Inszenierung armer, leidender Menschen eines womöglich anderen Kulturkreises dient auch dem Zweck, uns die Positionen westlicher Wertevorstellungen fortlaufend vorzuführen und zu bestätigen. Besonders die tragischen, extremen, schicksalhaften Bilder finden häufig Einzug in unser Kollektivgedächtnis.
Meine Arbeit ist als künstlerischer Versuch zu verstehen, dem Wesen dieser fotografischen Bilder, ihrer Entstehung und ihrer Wirkung auf den Betrachter näher zu kommen und unsere Sehgewohnheiten zu hinterfragen.
(Johanna Klier)