Andrea Grützner

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Andrea Grützner

Erbgericht

Als fremd-vertrauter Gast bewege ich mich durch ein altes Gebäude, welches mich seit Jahren in seinen Bann zieht. Ausgehend von der Tradition eines ehemaligen Dorfgerichtes ist das Erbgericht seit über 100 Jahren ein Gasthof in einem Dorf in Sachsen. An seine Räume, Ecken, Gegenstände sind Erinnerungen von Generationen geknüpft. Doch die gesetzte räumliche Struktur erzählt nicht von sich aus, es sind immer unsere Projektionen, die sie einfärben. Vieles ist nicht greifbar, weder die heutige Bedeutung noch die Erinnerungen.

Die Architektur wird zum Fragment. Mit farbigen Blitzen taste ich den Raum ab, bis der Schatten die Struktur des Bildes ergibt. Schatten verdoppeln, irritieren, dekonstruieren und bilden als authentische Spur ihren Referenten ab. Sie sind eng verwandt mit der Fotografie. Beide tragen als Index von Realität die Abwesenheit in sich und sind Metaphern der Erinnerung. Gänzlich ›Andere Räume‹ werden geboren, im Blitz-Bruchteil eines Moments, der die funktionale Realität zerreißt, entfremdet und sich in das analoge Trägermaterial einschreibt.

Mich interessiert die Auflösung des Raumes und die Überschreitung des Dokumentarischen in der Fotografie, das Spannungsverhältnis zwischen dem realen Ort und seiner Abstraktion in Bildern. Das Kulissenhafte ist bereits im Gebäude selbst angelegt, durch den engen Bildausschnitt und das kontrastreiche Licht- und Schattenspiel werden diese Eindrücke verstärkt. Wie bei den Kubisten wird der Raum in vereinfachte grafische Formen aufgelöst und eine Polyperspektive auf die Dinge ermöglicht. Durch die Verklärung der vertrauten räumlichen Strukturen verliert sich zunehmend das Zeit- und Raumgefühl. Dennoch erkennt man nach längerem Hinsehen kleine Risse im Putz. Man erahnt den Raum, der sich jenseits der bildlichen Konstruktion erstreckt, mit einer Mischung aus Faszination und Entfremdung.