2012 erzählte die 15jährige Kanadierin Amanda Todd (November 1996 – Oktober 2012) auf YOUTUBE ihre Leidensgeschichte eines jahrelangen Mobbings im Internet. Eine stumme Geschichte auf 74 Blättern Papier. Todd hält sie, eins nach dem anderen, vor eine Kamera. »Ich habe niemanden«, steht dort, »Ich brauche jemanden«.
Ihr Video war der letzte Versuch, dem Netz Mitgefühl zu entlocken. Dann brachte sie sich um. Seit der Kunde von ihrem Suizid generierte ihr Clip auf YOUTUBE Millionen Klicks. Als Vater eines minderjährigen Kindes hat mich diese Geschichte betroffen gemacht. Aus künstlerischer Sicht hat mein Interesse geweckt, dass eine 15jährige mit ihrem Video, wahrscheinlich unbewusst den berühmten Film-Clip zu Subterraneum Homesick Blues aus der Dokumentation D. A. Pennebakers über Bob Dylan von 1965 zitiert. Dieser Film-Clip gilt heute als das erste Musikvideo überhaupt und wurde bis dato von unzähligen Musikern und Filmemachern zitiert. So ist anzunehmen, dass Amanda die Inspiration zu ihrem Clip eher durch TV-Serien wie LOST oder Popbands wie Coldplay bezog. Diese Werke zitieren aber nur die Ästhetik des Originals, während das Lamento von Amanda wiederum der großen Tradition des afro-amerikanischen ›Talking Blues‹ zuzuordnen ist, als dessen moderne Fortführung musikgeschichtlich ›Subterraneum Homesick Blues‹ gilt. Weiterhin interessierte mich, warum Amanda dasselbe Medium, das ihr soviel Leid eingebracht hatte, für ihren finalen virtuellen Hilfeschrei benutzte. Um diesen scheinbaren Widerspruch (Amanda war als ›digital native‹ offenbar alternativlos) herauszustellen, habe ich ebenfalls bei YOUTUBE nach Bildern unter dem Stichwort ›School Girls‹ gesucht und aus den unzähligen so gefundenen Video-Clips ausgewählte Standbilder – meist in Ausschnitten – vom Bildschirm abfotografiert. Über diese Bilder habe ich die insgesamt 74 Texttafeln der Amanda Todd im Original-Wortlaut gelegt – wiederum selbst beeinflusst durch die Arbeiten von Barbara Kruger und Jenny Holzer. Die Texttafeln verdecken die meist noch mit großer Naivität und Unschuld zur Schau gestellten Körper der jungen Teenagermädchen aus aller Welt.
Die Ausstellungspräsentation besteht aus einem selbst produzierten Videoclip, in dem ich persönlich diese 74 Bilder mit den Worten Amandas nacheinander im Stil des Original-Bob-Dylan-Clips in die Kamera halte – als Zitat des Zitats des Zitats des Zitats.