Oliver Möst

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Oliver Möst

Clackastigmat

Unschärfe resultiert in der Fotografie nicht nur aus Bewegung, sondern sie kann auch auf einem Fehler basieren. Darauf deutet der Begriff Clackastigmat hin. Unter Astigmatismus versteht man einen Abbildungsfehler, der bedingt ist durch ein optisches System. Die Abbildung z. B. eines Punktes zerfällt in zwei Darstellungen. Für unseren Zusammenhang ist jedoch die Fehlerhaftigkeit des Linsenbildes von Interesse und die Zusatzbezeichnung 6.0. Die Unschärfe kommt nicht von ungefähr. Oliver Möst leidet an einer Sehschwäche. Präzise formuliert muss seine Brille links 2,5 und rechts 6,0 Dioptrien ausgleichen. In Clackastigmat führt uns Oliver Möst seine Sehschwäche ebenso eindrucksvoll wie direkt vor Augen. Wir sehen seine Fotografien etwa wie er – ohne Brille. Hergestellt wurden die Aufnahmen, indem der Fotograf seine Brillenlinse vor die Kamera montiert. Es ist die Vermittlung einer deutlichen und distanzlosen fotografischen Subjektivität. Diese Subjektivität funktioniert aber nicht über Einfühlung über das Bild in das Genie des Künstlers, sondern mittels eines Automaten. – Eines Oliver-Möst-Apparats, der technisch, will sagen automatisch das Oliver-Möst-Sehen garantiert. Der Betrachter sieht die Welt durch die Brille eines Anderen. Damit trifft Oliver Möst den Kern fotografischer Subjektivität. Denn die Brille des Fotografen definiert stellvertretend den Blick des Fotografen.

Der Betrachter einer Fotografie kann in der Fotografie objektive Welt nur so sehen, wie sie zuvor vom Fotografen mit Hilfe der Kamera ausgeschnitten – respektive gesehen wurde. Roland Barthes beharrte in der hellen Kammer auf der Tatsache, dass die Fotografie in einem verweisenden Verhältnis zur Wirklichkeit steht, zu einem Referenten. Die Kernaussage einer jeden Fotografie sei gleichbedeutend mit interfuit – So ist es gewesen. »Das was ich sehe, befand sich dort, an dem Ort, der zwischen der Unendlichkeit und dem wahrnehmenden Subjekt liegt« (Barthes, nach Kemp, 3, S. 283).

Bei Rosalind Krauss findet man in dem Begriff des shifters einen ganz ähnlichen Ansatz. Da, das da! Wenn wir aber während wir die Clackastigmat-Fotografien von Oliver Möst betrachten, durch seine Brille sehen, wird deutlich, dass wir das So ist es gewesen nicht nur in dem Sinne von das war dort verstehen dürfen, sondern als Das hat er dort gesehen und zwar So – auf diese Weise. Gleichsam wird nicht nur der Subjektivität des Fotografen, sondern auch der des Betrachters Rechnung getragen. Denn, wenn wir auch durch das Foto, auch durch die Kamera und so durch die Brille Mösts sehen, sehen wir anders unscharf als er. Aber garantiert unscharf und garantiert persönlich. Subjektive Fotografie hier in einer augenzwinkernden Variante.

(Roland Augustin)

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