Vor dem Hintergrund der anhaltenden Migration von Afrika über die Kanarischen Inseln nach Europa entstand Christoph Balzars Serie EUROPA LADRONA. Innerhalb dieses Kunstprojekts erkundet er die Umgebung der Inseln nach Möglichkeiten zum Überleben. Während sich seine Visualisierungen in eine fremde Lage hineinversetzen, liegt das Augenmerk auf den Orten, die seine fiktiven Gegenüber aufgesucht haben könnten. Die Wahl seiner Motive zerstört das vertraute Bild der Urlaubsinseln und zeigt, welche Form die Landschaft durch das Politikum der illegalen Migration und der Abschottung seitens Europas annehmen kann.
Der Ausspruch »Europa, Du Dieb!« wie »Europa Ladrona« in der Übersetzung heißt, weist darauf hin, dass die Kanaren, bevor sie von Europa gestohlen und annektiert wurden, afrikanisch waren. In Form eines Graffitis an der Betonwand eines desolaten Hafens ist der Spruch auf einer von Balzars Fotografien wieder zu finden und verdeutlicht, dass zwischen der politischen und der geografischen Wahrheit sprichwörtlich Welten liegen. Um sich mit dieser Zerrissenheit auseinanderzusetzen, schlüpft Balzar in die Rolle des Flüchtlings und versucht durch seine Augen jene Orte zu betrachten und zu deuten. Bewusst zeigt er keine Auswanderer, sondern verfolgt und imaginiert ihre möglichen Aufenthaltsorte und Spuren auf den Kanarischen Inseln. Mit zwei Bildern seiner Serie, die sich vor einem Alpenpanorama, also bereits in Zentraleuropa, abspielen, fragt er auch danach, wohin die Flucht eigentlich gehen soll?
Die Dokumentationen zeigen weniger das Reale selbst als vielmehr eine Rhetorik des Realen; einer in die Sprache der Fotografie übersetzten Darstellungsweise des Realen. Wirklichkeit wird nicht dokumentiert, sondern in ihrer Komplexität ähnlich den additiven Techniken der Malerei organisiert. Die konzeptuelle Methodik, die der Serie EUROPA LADRONA dabei eigen ist, schützt vor einer verklärenden und heroisierenden oder auch aufklärerisch-anklagenden Sicht. Nur auf subtile Art bezieht Balzar Stellung. So könnte das Nicht-Zeigen der Flüchtlinge als ein Statement über die politische Unsichtbarkeit und die soziale Blindheit gegenüber diesen Menschen gedeutet werden. Balzar will keine Wahrheit aufdecken, sondern lädt dazu ein, seinem andeutungsreichen Spiel zu folgen.
(Julia Gwendolyn Schneider)