In der neuen Werkgruppe Wait for Walk erweitert Böhm die Typologie des urbanen Raums um eine Anthropologie der Großstadtmenschen: Studien wartender Passanten an Ampeln in New York in wechselnden und flüchtigen Konstellationen, erzeugt und arretiert durch den Rhythmus der Metropole, unbemerkt von Florian Böhm festgehalten. Die Serie ist unter klar definierten Rahmenbedingungen entstanden und erinnert an das ›Dérive-Konzept‹ der Situationisten, bei dem durch Aufnahmetechnik subjektive, bildgestalterische Einflüsse des Fotografen vermieden werden sollen, um somit ein möglichst objektives Abbild urbaner Wirklichkeit zu erreichen. In der Serie Wait for Walk gibt der Rhythmus des Verkehrsflusses den Takt vor und es entstehen so kurzzeitige Konstellationen, flüchtige Gruppenbilder, die sich selbst formieren. Florian Böhm fotografierte meist unbeobachtet und im Zeitfenster vorbeifahrender Autos, so wird der Verkehrsfluss zum Verschlussvorhang und es entstehen Momente großer Authentizität. In ihrer präzisen Aufzeichnung des Geschehens offenbaren die Bilder bei aller Anonymität der Protagonisten ein fesselndes Panoptikum menschlicher Individualität und nonverbaler Kommunikation.
»In den Fotografien aus Wait for Walk sind die dargestellten Personen nicht als anonymes Massenornament wiedergegeben, sondern in ihrer Individualität erkennbar […] Wir erkennen ein differenziertes Spektrum an Großstadtbewohnern aus sämtlichen Altersstufen und ethnischen Identitäten. Doch wer sind diese Menschen, woher kommen sie, wohin gehen sie? Man ist versucht in Anlehnung an Paul Gauguins berühmtes gleichnamiges Gemälde ›Woher kommen wir? Wer sind wir? Wohin gehen wir?‹ diese existentiellen Fragen zu stellen.« (Textauszug aus dem Katalog Wait for Walk – Zur Physiologie der Straße oder das Schauspiel des urbanen Lebens von Ulrich Pohlmann)
Diese Art des Einfangens verschiedener Charaktere führt dabei zu einem Changieren zwischen verschiedenen Stilen des künstlerischen Ausdrucks: die Intention des unbeobachteten Augenblicks erinnert zum einen an die Tradition der Amerikanischen Streetphotography von Helen Levitt, Sid Grossman, Lisette Model, William Klein oder auch an die Museumsbilder Thomas Struths. Gleichzeitig sind Böhms Arbeiten in Wait for Walk in ihrer Ästhetik der inszenierten und kalkulierten Fotografie Jeff Walls oder Philip Lorca di Corcias nahe. Ein besonderer Reiz der neuen Arbeiten Böhms liegt in dem zufälligen Zusammenkommen mehrerer Menschen mit der Ästhetik einerbühnenhaften Inszenierung: eine moderne Umkehrung des Prinzips des barocken holländischen Gruppenporträts. Florian Böhm, geboren 1969, lebt und arbeitet in München und New York und bewies bereits als Mitbegründer der fotografischen Studie ›EndCommercial ®/Reading the City‹ einen untrüglichen Blick für die Details urbanen Lebens, die ihre ganz eigenen Geschichten erzählen.