Frank Kunert

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Frank Kunert

Modellversuche

Ein mehrstöckiges Mietshaus. Der Putz graubeige, kleinbürgerliche Idylle: an den Balkonbrüstungen Vorleger, ein einsamer Blumenkasten, auch der Liegestuhl fehlt nicht. Ein vertrauter Anblick. Erst auf den zweiten oder dritten Blick sehen wir, dass etwas nicht stimmt. Alle Balkontüren führen ins Leere, die Balkone wiederum haben keine Zugänge. Der Fotograf Frank Kunert hat keinen architektonischen Skandal aufgedeckt. Mit Balkon ist eine Arbeit seiner Werkreihe Fotografien kleiner Welten, mit denen er geistreich, hintergründig und feinsinnig unsere Wahrnehmung und Erfahrung ad absurdum führt.

Weit davon entfernt lediglich fotografische Satire sein zu wollen, sind Kunerts Kleine Welten materialisierte Gedankengebilde, die er in wochen-, manchmal monatelanger Arbeit aus Leichtschaumplatten, Knetmasse und Farbe als dreidimensionale Modellkulissen inszeniert. Mit größter Sorgfalt werden Details solange ausgearbeitet und in Szene gesetzt, bis alles perfekt ist und täuschend echt aussieht. Erst wenn das Modell zu einer eigenen Welt gefunden hat, setzt Kunert das Studiolicht und greift zur Großformatkamera.

Auch wenn diese aufwändigen Modelle für sich alleine stehen könnten, manifestiert sich die Komplexität der ins-zenierten Welten und die intendierte visuelle Täuschung erst im fotografischen Abbild. Dabei sind Fotomontage und Computeranimation für Kunert kein Thema. Er strebt weder nach schnellen Ergebnissen, noch nach der perfekten Hochglanzoberfläche. Auf großen Abzügen darf und soll der Betrachter durchaus wahrnehmen, dass es sich um abgebildete Modelle handelt. Der analoge Look ist Programm, der zunehmenden Digitalisierung begegnet Kunert mit dem Greifbaren.

Ebenso wie gut erzählte Geschichten sind Kunerts Kleine Welten in ihrer Symbiose von Idee, Bild und Bildunterschrift mehrdimensional. An der Oberfläche konfrontieren uns die Bilder mit den Worthülsen und Banalitäten des Alltags. Die Klischeehaftigkeit und Sinnlosigkeit von Kommunikation entlarvt sich nirgends überzeugender als in ihrer buchstabengetreuen bildlichen Umsetzung. Ganz bewusst pendelt Kunert dabei zwischen Humor, Esprit, Skurrilität und Groteske. Auf einer tieferen Ebene verbindet die „Kleinen Welten“ ein durchgängiges Thema: unsere Sehnsucht nach Geborgenheit und unsere Ängste vor Verlust und Vergänglichkeit. Nicht von ungefähr gibt es kaum ein richtiges Sommerbild, dafür immer wieder Herbstlaub. Melancholie und Tristesse liegt über den Bildern.

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